KlassikAuto Berlin

Geschichten aus einer Oldtimergarage und dem historischen Motorsport



Die Farbe Blau

von M.Pohle am 26. Dezember 2014

Blu Adriatico, Mitternachtsblau, Scottish Blue. Klangvolle Namen. Wenn die Automobilhersteller ihre in der Grundfarbe lackierten Modelle benamsen, sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Warum eigentlich? Blau ist doch nur blau!

Wer die Wahl hat, hat die Qual...

Niemals sollten Sie den letzten Satz im Beisein holder Weiblichkeit in den Mund nehmen. Es könnte in einem leidenschaftlichen Meinungsaustausch über Farbenlehre und Gestaltungsmöglichkeiten münden. Schon gar nicht dürfen Sie die Aussage treffen, wenn die schöne Zier beabsichtigt, ihrem fahrbaren Untersatz einen neuen Look zu verpassen. Die Unterhaltung endet in einem Monolog über der Damenwelt liebstes Thema: Schuhe!
Es ist so sicher, wie die Tagesschau alltäglich pünktlich um Acht auf Sendung geht. Verständlich, denn so unerschöpflich wie es Farbtonmusterkarten in einem Autolackierfachgeschäft gibt, ermöglicht die fußkleidende Materie grenzenlose Vergleichsmöglichkeiten.
Schließlich ist ein Schuh mehr als nur ein Schuh und ein Absatz nicht nur ein Absatz.

Mein persönlich blaues Wunder erlebte ich am letzen Osterfest. Was aber war geschehen?

Wie ein abgelatschter Wanderschuh präsentierte sich die betagte Vespa einer guten Freundin: verbeult, zerkratzt und provisorisch ausgebessert. Abhilfe tat dringend Not. Selbstverständlich nahm ich mich der Angelegenheit an. Und traf eine folgenschwere Entscheidung.
Am Ende der Renovierung sollte die Vespa als ein einziges Schmuckstück seiner Art auf die Straße rollen – ein Lackschuh für die flotte Pilotin!

Vier Monate aktiver Meditation in der winterlichen Kälte meiner Garage später war es endlich soweit. Die Fingerkuppen vom Trockenschleifen ihrer Abdrücke beraubt, die Nägel vom Nassschleifen aufgeweicht und aufgerollt, übergab ich die lackierfertige „Wespe“ dem Fachbetrieb meines Vertrauens. Im Lieferumfang befand sich zusätzlich ein einflussreiches Utensil: Eine Dose mit zwei Litern Basislack im begehrten Farbton.

Klar doch, das die Pilotin des kleinen Stadtflitzers nicht irgendeine Farbvariante auserwählt hatte. Bristol Dark Blue aus den 1960ziger Jahren sollte es sein – eine besonders dunkelblaue Kolorierung, die bei Sonnenschein effektvoll violett schimmert. Hätte es mich nachdenklich stimmen müssen, als mich der Meister der Farbspritzpistole mit den Worten verabschiedete: »In welchem Verhältnis muss ich denn den Lack verdünnen?«

Aber wohlgemerkt: Ein wenig Vertrauen schadet nicht. Und so erreichte mich kurz vor dem Osterfest die freudige Nachricht, das die Vespa fertig lackiert sei. Glanzvoll präsentierte sich der Rollerrahmen in einer dunklen Ecke der Lagerhalle der Autolackiererei, sorgsam verpackt warteten die vielen Nebenteile der Cinquanta in einem großen Pappkarton am Tag der Abholung auf ihren Abtransport . Beschwingt machte ich mich an einem sonnigen Osterfeiertag ans Auspacken. Leider währte die Freude nur kurz!

Augenscheinlich hatte der gewünschte Violettschimmer nicht den Weg durch das Farbsieb in die Spritzpistole gefunden und glänzte im strahlenden Sonnenschein durch Abwesenheit.
Welch schöne Bescherung. Man hatte mir ein blaues Kuckucksei ins Osternest gelegt.

Ein Schelm, der Böses denkt. Trotzdem bedurfte der Verlust des dekorativen Effektes im begehrten Farbton der Aufklärung. »Was hast du mit meiner Farbe gemacht? «, raunte ich vorsichtig zum Wochenbeginn in den Telefonhörer. Es herrschte anfängliches Schweigen am anderen Ende des Glasfaserkabels. In der Folge sprudelte es um so mehr aus dem Munde der Autorität über Basislack, Härter und Verdünner heraus. Farbe zu dick, Betriebsablaufstörung, Katastrophe, neue Farbe gekauft, unter UV-Leuchte geprüft, drangen als Schlagworte der Erklärung in mein Ohr. So gleichgültig wie ein Fahrradfahrer auf dem Kurfürstendamm über eine verschuldete Delle in einem Jaguar E-Type hinweg sieht, endete die Verteidigung mit den Worten: »Fällt doch gar nicht auf. Blau ist doch blau!«
Plötzlich kam mir mein Einspruch so bedeutungslos vor. Etwas aufgewühlt beendete ich das Gespräch. Und begann das Desaster zu analysieren…

Unübersehbar schien der Lackiervirtuose mit einem Problem konfrontiert. Ganz ohne Zweifel gewann in diesem Fall das emotionale System der menschlichen Steuerzentrale die Oberhand über das rationale System, Vernunft und Verstand wurden außer Kraft gesetzt. Entgegen aller kommunikativen Regeln zur Lösung des Ungemach, gönnte sich der Meister der Farben die Freiheit der individuellen Entscheidung. Ohne Rücksprache wird die Wespe in ein Bad voll Farbe aus der Jaguar-Farbpalette getaucht.
Lag der Lapsus vielleicht am jahrelangen Konsum lösemittelhaltiger Chemikalien, den diese Handwerkszunft tagein, tagaus inhaliert?

Ein Selbstversuch hätte Gewissheit bringen können, stapelt sich doch die ein oder andere Dose Autolack und Acrylverdünner in meiner Garage. Soviel Forschergeist wollte ich meiner Nase aber lieber nicht zumuten. Zudem benötigte ich einen klaren Kopf. Schließlich musste ich die schlechte Nachricht noch der erwartungsvollen Vespa-Besitzerin überbringen. Kein Whats App, keine Videokonferenz, selbstredend übermittelte ich tags darauf die schlechte Nachricht persönlich. In meinem Gepäck befand sich eine  Küchentisch füllende Rollerverkleidung in strahlendem Jaguar Dark Blue. Sozusagen ein Probeschuh. Das kam daher, weil die schöne Damenwelt in Schuhgeschäften gerne Mal ein paar Kilometer »Probelaufen« will, bevor sie sich meistens nicht entscheidet. Diesmal war eine Entscheidung aber unabdingbar. Nicht nur, weil die betrübte Pilotin Anspruch auf eine Nachbesserung und Neulackierung besaß, auch das oft geheimnisvolle Styling-Gelüste holder Weiblichkeit musste überdies samt und sonders glücklich gestimmt werden. Letzten Endes gilt, was Sie und Ich schon immer wussten: BLAU IST EBEN DOCH NICHT NUR BLAU.

Sie hat sich entschieden! Und streckte den Daumen für das »faule« Dunkelblau nach oben . Ob es am bevorstehenden Sommer, der feinen azurfarbenen Tönung oder einfach nur an guter Freundschaft lag, ich habe es nie erfahren.
Wozu auch. Denn ob Dark Blue aus dem Hause Bristol oder Jaguar – ein betörender »Lackschuh« wurde die Wespe trotzdem.
Ich indessen überlege, den neuen Farbton dem renommierten Pantone Color Institute™ zur Wahl der Farbe des Jahres 2015 vorzuschlagen. Sein belebendes Element in den stolzen Augen der Vespa-Pilotin, meines Herz-,  Kreislauf-, aber vor allem Nervensystems ist unbedingt eine angemessene Honorierung wert.

Ach ja, die liebe Oldtimerei.

{ 2 Kommentare… lesen Sie unten oder schreiben Sie selbst einen }

st.-foto Berlin Januar 5, 2015 um 22:21

Hallo Micha,
die Umsetzung eines solch spezifischen Kundenwunsches ist schon eine Sache. Der Enthusiasmus und die Ernsthaftigkeit bei der Umsetzung durch den Spezialisten zeigt die Ernsthaftigkeit der Planung und Taten. Die ungenaue Umsetzung durch den Fachexperten und dann “Wie bringe ich das der Roller-Pilotin bei” zehrt am Nervenkostüm. Und zum Schluß war’s gar nicht so schlimm: so ungerecht kann die Oldtimerei sein.
Aber schön ist’s doch – oder?

Henrik.

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KlassikAuto-Berlin Januar 5, 2015 um 23:49

Wie langweilig wäre das Leben, wenn immer alles reibungslos über die Bühne geht.
Natürlich war es am Ende wie immer schön!

Der Restaurator

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