KlassikAuto Berlin

Geschichten aus einer Oldtimergarage und dem historischen Motorsport



Rover P4-
Mit einem Blick für die Zukunft

von M.Pohle am 20. September 2017

Mit einem Blick voraus...

Ein Rover darf nicht aufdringlich ins Auge fallen, er muss diskret erscheinen! Von dieser unternehmenseigenen Philosophie war das erste Modell der P4 Baureihe im Herbst 1949 weit entfernt. Der neue Rover 75 präsentierte sich frisch und modern, für das typische Rover- Klientel gar revolutionär.

Am Ende seiner fünfzehnjährigen Existenz wirkte er so flott wie eine walisische Kommode. Schon zu Zeiten, als ein P4 im englischen Straßenbild gut vertreten war, schmückte sich die schrullig anmutende Limousine mit dem liebevollen Kosenamen „Tantchen“.

Dessen ungeachtet trug „One of Britains fine cars“ unter seinem konservativen Blechkleid fortwährend viele technische Innovationen. Ein Blick zurück…

Kein geringerer als der berühmte Industriedesigner Raymond Loewy steht – wenn auch unfreiwillig – Pate für Rovers frühen automobilen Nachkriegsentwurf. Loewys Konzeption des 1947er Studebaker Champion erregt Aufmerksamkeit in der Vorstandsetage der Rover Company Limited in Solihull bei Coventry. Kurzerhand verschifft der britische Automobilhersteller zwei Anschauungsexemplare über den großen Teich. Zwei Jahre dient der Entwurf des französisch-amerikanischen Designers im neuen richtungweisenden Drei-Box-Design den Konstrukteuren in Solihull als Musterexemplar. Am Ende der Entwicklung zeigt sich der neue Rover 75 mit seinen ungewöhnlich fließenden Karosserielinien hochmodern im Styling und expediert die automobile Mode der neuen Welt ins alterwürdige britische Königreich.

Der Engländer aber bewahrt gerne, was sich bewährt hat. Rovers Anhängerschaft ist das befremdende Modell zu amerikanisch. David Bache, ab 1953 neuer und hochbegabter Chef- Stylist, gleicht ein Jahr nach seinem Amtsantritt in Solihull die Linienführung des P4 den Kundenwünschen an. Fortan erfährt die Karosserie der alten Dame bis zur Einstellung ihrer  Produktion im Jahr 1964 nur noch minimale Veränderungen im Detail.

Ebenso klassisch präsentiert sich Auntie´s gute Wohnstube. Hochfloriger Teppich, wohl duftendes Nußbaumholz und feinstes Leder sorgen für ein traditionelles Luxusappartment auf vier Rädern.  Es herrscht urbritische Herren-Club-Atmosphäre sobald die Aluminiumtüren ins Schloss fallen. Rechtsanwälte, Ärzte, Architekten greifen hier gerne auf ihrer Rast zwischen Bournemouth und Newcastle zur Barling- Pfeife oder werfen einen Blick in den Herold Tribune. Gleichwohl  wetteifern neben den Bekenntnissen zur Vergangenheit, wie etwa einem Handbremshebel, der durchaus an den Wanderstock eines Hirten erinnert, ungewohnt moderne Detaillösungen um die Gunst der gehobenen Mittelschicht. So lassen  sich Schalthebel und Armlehnen exakt auf die Bedürfnisse des Chauffeurs einstellen. Ist die Barling erst erkaltet und lädt zur Weiterfahrt ein,  erledigt sich die notwendige Ölstandskontrolle fortschrittlich über das umschaltfähige Kraftstoffanzeige-Instrument in der Armaturentafel; per Knopfdruck wird der Ölstand im Vorratssumpf übermittelt. Feine Herren haben keine ölverschmierten Hände.

Und die britischen Gentlemen sind in den mit Sechszylindern in Reihe motorisierten Modellen 75, 90, 95, 100, 105 und 110 überaus flott unterwegs. Rovers Kraftquellen produzieren ihre Leistung nach dem Prinzip der Gegensteuerung mit dem Kürzel IOE, engl. »Inlet over Exhaust«. Dabei werken die über Stößelstangen angetriebenen stehenden Einlassventile allein im Zylinderkopf aus Leichtmetall, während die gegensteuernden Auslassventile auf dem Kopf hängend ihre heiße Schwerstarbeit im gusseisernen Motorblock verrichten. Das in der Automobilwelt eher selten vertretende Motorenkonzept sorgt in seiner größten Ausführung mit 2,6 Litern Hubraum immerhin für kraftvolle 123 Pferdestärken. Selbstverständlich philosophieren Gentlemen nicht über Höchstgeschwindigkeiten – sie ist gebührend. So genügend, das der italienische Rennfahrer Paolo Lando Barsotti 1955 mit einem Modell 75 die berüchtigte Mille Miglia bestreitet und erfolgreich bewältigt.
Die schwergewichtigen Sechszylindermotoren aber verlangen nach einem beherzten Griff ins
Lenkrad. Einschließlich Getriebe lastet bis zu einer dreiviertel Tonne Gewicht auf den Vorderrädern und lässt die kompakt anmutende Limousine schon bei geringen Kurven-
geschwindigkeiten heftig untersteuern – ein Grund, warum die Polizei Bösewichte bevorzugt in den leichtgewichtigen Vierzylinder-Modellen Rover 60 und 80 verfolgt.

Rovers kluge Köpfe stecken voller innovativer Ideen: In den Konstruktionsabteilungen wird emsig getüftelt, berechnet, gezeichnet und die Entwürfe in den Versuchsabteilungen in die Tat umgesetzt. Ein halbautomatisches Getriebe mit Freilauf erfreut sich großer Beliebtheit beim Kundenklientel. Selbst ein vollautomatisches Getriebe mit Overdrive findet seinen Weg zur Serienreife. Großbritanniens faszinierende Antwort auf die amerikanischen Automatikgetriebe ist zwar robust und zuverlässig, aber das Getriebe kränkelt an durchwachsenden Beschleunigungswerten und hohen Produktionskosten. Zwei Jahre nach seiner Entwicklung verschwindet der „Roverdrive“ wieder aus dem Programm. Das Maximum an Forschergeist jedoch verkörpert der Versuch Straßenfahrzeuge mit Gasturbinen anzutreiben. Im Jahr 1950 erscheint JET1, ein zweitüriger Roadster auf Basis des P4. Rovers Ingenieure gewinnen mit dem Automobil auf Anhieb die Dewar Trophy, die britische Verdienstmedaille für innovative Verdienste in der Automobilentwicklung. Auf dem abgesperrten Jabbeke- Highway in Belgien stellt das zwischenzeitlich aerodynamisch modifizierte Gefährt überdies 1952 mit 245 km/h einen neuen Geschwindigkeits-Weltrekord für turbinengetriebene Fahrzeuge auf. Erst Mitte der Sechziger  stellt Rover schließlich die experimentellen Forschungen mit Gasturbinenantrieb ein.

Rovers größter Nachkriegserfolg, der Land Rover, trägt großen Anteil, das nie Sonder-Karosserien des P4 in Serie erscheinen. Zwar zeichnet Pininfarina ein schnittiges zweitüriges Coupe, überdies entwirft die italienische Designschmiede ein schickes Cabriolet und fertigt zwei Prototypen, doch der überraschende Triumph des trendigen Geländewagens beansprucht die Kapazitäten der Produktionsstätten in Solihull derartig, das eine Erweiterung der Fertigungsstätten zur Herstellung neuer Modelle unausweichlich wird. In der Vorstandsetage ist die Scheu zu diesem Schritt jedoch zu groß.
Ebenso nie in Serie geht in den Fünfzigern der Maurader, ein Sportwagen auf Basis des P4. Der Versuch ehemaliger Werksmitarbeiter diese Marktlücke zu schließen, scheitert früh an der Erhöhung der britischen Umsatzsteuer, die den Kauf des Modells erheblich verteuert.

Der P4 startete mit einem Blick für die Zukunft. Schon früh verirrt er sich auf dem schmalen Grat zwischen Fortschritt und dem Bekenntnis zur Tradition. Als im Herbst 1963 mit dem avantgardistischen P6 der direkte Nachfolger erschien, fuhr das fossile  Automobil der Zeit hoffnungslos hinterher. Vielleicht ist dies ein Grund, warum sich die antiquierte  Limousine heute unter Kennern großer Beliebtheit erfreut. Wer sich erst einmal in die Gesellschaft der alten Dame begibt, erliegt nicht selten ihrem Charme. Wie schrieb schon der englische Motorjournalist Denis  Sargent Jenkinson tief beeindruckt zum Ende der 1950er: »Die Fahrt in einem P4 ist so gemütlich und sicher wie ein Besuch bei meiner Tante zum Tee.«

{ 1 Kommentar… lesen Sie unten oder schreiben Sie selbst einen }

Andreas Oktober 9, 2017 um 21:53

Hi Micha,
sehr schöner detaillierter Bericht über “Tantchen”.
Wusste z.Bsp. gar nicht, dass der Oelstand über die Tankanzeige per Umschaltung auszulesen ist. Man war damals bei Rover bereits sehr innovativ.
Deine Berichte sind mit sehr viel Liebe zum Detail, sehr informativ und detailliert geschrieben. Damit tragen sie zur automobilen Horizonterweiterung eines jeden Lesers bei.
Bitte mehr davon…….
LG Andreas

Antworten

Schreiben Sie einen Kommentar