KlassikAuto Berlin

Geschichten aus einer Oldtimergarage und dem historischen Motorsport



Patina, Denkerkinn und Anti-Falten-Creme

von M.Pohle am 21. Juni 2012

»Substanz erhaltende Pflegemittel«

»Morgenstund hat Gold im Mund.« Nur leider nicht für mich! Mein innerer Motor beginnt in der Früh nicht ohne die obligatorische Tasse Kaffee zu laufen, der Zündfunke will partout nicht überspringen. Und der allmorgendliche Blick in den Spiegel manifestiert mein körperliches Wohlbefinden und Erscheinungsbild. Hämisch lacht mich eine stattliche Anzahl Falten rund um meine Augen an, deutlich tiefer und ausgeprägter als am Ende eines Tages. Von der Furche an meinem Kinn ganz zu schweigen. Sie ist Zeuge der Lösung unzähliger Oldie-Rätsel, das Kinn dabei nachdenklich auf die Hand gestützt. Liebevoll bietet mir meine Gattin hin und wieder Hilfe aus ihrem reichhaltigen Sortiment zur Konservierung nachvollziehbarer, biologischer Vergänglichkeit an, stets lehne ich dann mit den Worten ab: Nein danke, das ist doch schließlich meine Originalität, meine ureigenste persönliche Patina.

Patina – Schlagwort und Trendthema der Oldtimer-Szene. Das verführt mich, meine Garagentore zu öffnen, ihnen Einblick in meine Philosophie zum Thema zu gewähren und Zeugnisse vergangener Tage zu präsentieren; Spurensuche im hauseigenen Fuhrpark.

Die alte Dame strahlt. Schon die Lackierung meines Rover P4 sorgt für den Aha-Effekt. Ist die Motorhaube erst einmal geöffnet, folgt sogleich die immer wiederkehrende Aussage des Betrachters: »Sehr schön, perfekt. Aber da müssen sie ja ständig putzen!« Mein Tantchen restaurierte ich nach der Philosophie, das Automobil müsse am Ende seiner Restaurierung besser sein als 1962 beim Rolling-Out aus der Fabrikhalle in Sollihull. Unter dieser Prämisse begann ich mein Projekt.
Einen perfekten Fahrzeugrahmen, eine Hochglanzlackierung und einige überrestaurierte Einzelteile später, richtete ich mir eines Feierabends mein Antlitz in der spiegelnden Lackfläche der frisch überarbeiteten Heizungseinheit. Über das perfekt instandgesetzte Innenleben der Smith-Heizungskiste schweige ich besser; wohl dem, der auch auf innere Werte verweisen kann.  Ob jemals eine schönere Heizungsbox die Smith-Werkshallen verlassen hat?
Es war der Schreckensmoment, der mir deutlich vor Augen führte, dass mein Konzept die Spuren fernerer Tage komplett zunichte machte. Folglich schrieb ich das Lastenheft um. Nun erzählen doch noch einige belassene Details ihre Biografie vom langen, gemeinsamen  Leben mit meiner Auntie und passen sich harmonisch in den Gesamteindruck der  hochwertigen Restaurierung ein.

Auch mein Innocenti strahlt. Aber anders. Eine kleine Delle hier, ein Rostbläschen da, ein Kratzer dort. 40 Jahre Straßenkampf haben Spuren hinterlassen. Würdevoll trägt er sie zur Schau, ohne dabei unansehnlich oder gar ungepflegt zu erscheinen. Technisch ist er stets einwandfrei. Als ich ihn vor 15 Jahren von einem guten Freund übernahm, beschloss ich die kleine graue Maus beim Runden des Kilometerzählers in seine Einzelteile zu zerlegen und ihr eine ausgiebige Restauration nach Rover-Manier zu spendieren. Die Erfahrung hat mich besseres gelehrt.

»Patinierter Italiener« vor standesgemäßer Kulisse

Eine kleine Delle schmückt den Kühlergrill. Sie ist Zeuge eines ungewöhnlichen Unfalls.  Als das Auto noch meinem Freund gehörte, saß dieser eines Nachmittages vor dem Gefährt und betätige nach erledigter Servicearbeit den Magnetschalter des Anlassers um den Motor vom Motorraum zu starten. Leider hatte er etwas vergessen…
Kraftvoll setzte sich der kleine Italiener in Bewegung. Den Ellbogen schützend zwischen Rippe und Kühlergrill geklemmt, schaffte es mein Freund gerade noch rechtzeitig das Hauptzündkabel aus der Verteilerkappe herauszureißen. Glück gehabt. Der für den Abend geplante gemeinsame Kinobesuch fand trotz starker Rippenschmerzen dennoch statt.
Wann immer ich diese kleine Beule betrachte, muss ich ein wenig schmunzeln. Stets frage mich dann: Darf ich diesen Beweis erlebter Geschichte überhaupt wegrestaurieren?
Schließlich können nicht viele Oldtimerbesitzer von sich behaupten, dass sie versucht haben, sich mit ihrem Auto selbst zu überfahren.
Nun, ich lasse das Gefährt in Würde altern, solange es nur irgendwie geht.

Und dann gibt es noch das Lancia Flavia Coupe! Ich habe es als Restaurierungsobjekt in Zustandsnote 5 erstanden. Bisher habe ich noch kein Konzept erstellt, weder für die Arbeitsabläufe, noch für die angestrebte Zustandsnote am Ende seiner Restaurierung. Vermutlich werde ich den Mittelweg zwischen Rover- und Innocenti-Philosophie anstreben. Das scheint mir die beste Lösung für das schicke italienische Coupe zu sein.

Ach übrigens: Ich hab es doch getan! Heimlich schlich ich letzte Nacht ins Badezimmer und gönnte mir eine Fingerspitze aus dem Tiegel mit der Anti-Falten-Creme meiner Frau. Wahrscheinlich gibt es noch das ein oder andere Oldie-Problem zu lösen, da können ein paar Substanz erhaltene Maßnahmen am Denkerkinn auch mir nicht schaden. Und schließlich hab ich die alte Rover-Dame letzte Woche  ja auch poliert und gewachst.

Ach ja, die liebe Oldtimerei.

Schreiben Sie einen Kommentar