KlassikAuto Berlin

Geschichten aus einer Oldtimergarage und dem historischen Motorsport



Im Gummiboot nach Rimini

von M.Pohle am 14. September 2013

Fritz B. Busch hat es getan. Im knallroten offenen MG B Sportwagen kurvte er die Küstenstraße der französischen und italienischen Riviera entlang. Voll des Lobes für den kernigen Briten berichtete er in seiner legendären Kolumne. Grund genug für einen guten Freund von KlassikAuto, es dem berühmten Motorjournalisten gleich zu tun. Er reiste mit seinem MG – einem 78er Gummibootmodell – nach Rimini an die italienische Adria.

Stillgelegte Werkhalle

1252 Kilometer, etliche Bergpässe und ab Modena einen Schlenker links, schwängert der Geruch von verbrannten Motoröl die frische salzige Meeresluft. Das schwarze Gold - nach scharfer Fahrt so dünnflüssig wie Balsamico-Essig aus dem Supermarkt - tropft aus den Motordichtungen auf den grauen Asphalt. In den überhitzten Vergasern wetteifern die Dampfblasen  mit denen im Heizkessel einer Espressomaschine eines kleinen italienischen Strandcafes. Aufruhr herrscht im Wasserkühler, es brodelt im System. Denn der betagte Graugussmotor des britischen Roadsters bewerkstelligt die weite Anreise ohne den Motor schonenden Schnellgang. In der Betriebshalle des Laycock  LH- Type Overdrive herrscht Müßiggang. Die Ölpumpe pumpt nicht mehr, Sonnenrad und Planetenräder stehen schon lange still. Seit über 26 Jahren. Warum? Das lesen Sie hier…

Begleiten Sie mich zunächst auf eine Reise in die Vergangenheit. Der gute Freund,
jung und wild, erwirbt 1985 nach seinem Studium den herrlich unvernünftigen, leider aber schon overdrivekranken MG. Auf seinen Lusttouren mit dem schwarzen »Gummiboot« lernt der anglophile Autonarr seine zukünftige Hauszierde kennen. Im vierten Gang des Standardgetriebes, mit ohrenbetäubenden Motorgetöse und einem üppigen Vorrat an Ohrstöpseln im Handschuhfach bereisen die beiden viele schöne Länder mit dem schwarzen Roadster.
Zur gleichen Zeit hämmerte, flexte und schraubte man in der alten Berliner City- West in einer renommierten Autowerkstatt an den automobilen Abgesandten der englischen Königin. Chromglänzende Emilys, geflügelte Bentleys und elitäre Geländewagen buhlten auf zehn aneinander gereihten Hebebühnen um die Gunst einer stattlichen Scharr ölverschmierter Mechaniker. Ganz vorn stand ein weiß- blauer Big Healey 3000,  eine vom Lack befreite E-Type Rohkarosse leuchtete silbrig glänzend am Ende der Halle. Ich war geblendet bei meiner ersten Begegnung mit dem Paradies. Demütig bestellte ich im Ersatzteillager die benötigen Bremsbacken für meinen  Mini. Warum ich Ihnen dies erzähle? Viele Jahre später erlernt ein junger Mann hier das breite Wissen rund um das antike britische Altmetall. Seine späteren Annäherungsversuche mit dem schwarzen Roadster waren jedoch nicht von Erfolg gekrönt. Nach wiederholten Begegnungen mit dem schaltfaulen Gefährt ließ sich der Overdrive-Schongang noch immer nicht zuschalten.

Zugegeben, die Reparatur eines Overdrivegetriebes ist anspruchsvoll. Eine Ausbildung zum Raumfahrttechniker wird für die Instandsetzung allerdings nicht benötigt. In einer Ausgabe des Werkstatthandbuches vom Leyland Cars Service von 1975 für den MG B las ich folgendes: »Dieses Handbuch soll dem gelernten Kfz-Mechaniker helfen, sämtliche Reparatur- und Austauscharbeiten in kürzester Zeit vorzunehmen.« Vermutlich waren alle Exemplare dieses Buches die letzten 26 Jahre auf verstaubten Schobern, in von Holzwürmern zerfressenen Schubladen oder dunklen Kellern versteckt. Antike Bücher steigen im Wert, wenn man sie nur lange genug lichtgeschützt verwahrt. Zwei elektrische Schalter, ein Öldruck steuerndes Magnetventil, ein Ölsieb und eine Ölpumpe bilden die Steuerung des Overdrivegetriebes. Fünf einfach überprüfbare Gründe, warum sich das Laycock Aggregat vielleicht wie ein grillenhafter Kerl verhalten hatte, dem am Tresen seiner Stammkneipe vom Thekennachbarn das Bier weggetrunken wurde. »So schwer kann die Fehlersuche doch nicht sein!«, dachte ich mir. Voller Zuversicht stieg ich an einem Dienstagnachmittag in meine Arbeitsgrube hinab.

ACHTUNG, hier musst du noch einmal nachschauen! Knallgelb leuchteten die Missetaten der Vergangenheit schon aus der Ferne. Das Regiment für die Stromversorgung des Magnetventils übernimmt ein Getriebeschalter. Er deligiert die benötigten Volts nur im dritten und im vierten Gang zur magnetischen Ölschleuse. Kunstvoll hatte man die Strom steuernde Instanz mit einer strahlenden Umgehungsleitung in die Werkpause geschickt. Unvorstellbar, mit welchem Radau der Overdrive in seine Einzelteile geborsten wäre, hätte das gute Stück seine Arbeitsscheu bei eingelegtem Rückwärtsgang abgelegt. Nichtsdestoweniger glänzte auch die Ölfluss regelnde Kugel im Magnetventil durch Abwesenheit. Endete vielleicht der Flirt mit einem ölgetränkten Werkstattboden in einer langfristigen Beziehung? Oder diente die Leere im Ventil etwa als Sicherheitsvorkehrung zur Wiedergutmachung der voraus gegangenen Sünde? EGAL: Keine Kugel, kein Öldruck!  Spätestens an diesem Punkt wurde mir klar, warum sich mein Vorgänger für die signalträchtige Farbgebung der Elektrik entschieden hatte. Immerhin erwies sich das Ölsieb als sauber und die Ölpumpe verrichtete ihren Dienst. Alle Fehler beseitigt, alle Funktionen geprüft, wurde es Zeit für einen ersten Test. Nun ja, nicht jedes Dornrösschen lässt sich mit dem ersten Kuss erwecken. Frustriert steckte ich meinen Kopf am Abend daheim noch einmal in das Reparaturhandbuch.

»Gegenstand« für eine gründliche Untersuchung

»Ich muss den Öldruck überprüfen«, analysierte ich meine vorangegangene Fehlersuche. In der Betriebsstätte des LH-Type Overdrive herrschen knapp 30 bar Betriebsdruck. Ein geeignetes Manometer aber schlummerte seit Jahren ungenutzt in meinem Werkzeugwagen. Der freundliche Hydraulikservice an der Ecke half bei der Synchronisation metrischer und zöllescher Gewindeanschlüsse zwischen Messinstrument und Getriebe. Allerdings führten einhundert Euro Kosten für die Prüfleitung zu einem erheblichen Loch im heimischen Haushaltsbudget. Wenn die Manometernadel wenigstens nur einmal gezuckt hätte!  Aber in den Ölkanälen herrschte  Drucklosigkeit. Wie nur sollte ich das Haushaltsdefizit meiner häuslichen Regierung erklären? Zumal meine Erfolgslosigkeit auch keine Entlohnung versprach. Die Aussicht auf einen belastenden Untersuchungsausschuss sowie eine hitzig geführte Haushaltsdebatte stimmte mich nicht gerade glücklich. Die Sorgenfalten auf meiner Stirn gruben sich wieder etwas tiefer ein.

... als Ursache für jahrelange Tatenlosigkeit

Verklemmter Typ: Der Ölpumpenkolben erweist sich...

Eitelkeit ist eine schlechte Zier. In meiner kleinen Werkstatt sowieso.  Schließlich nehmen meist nur kostspielige Altmetalle, antiquiertes Schrauberwerkzeug oder Heinrich Anstoß an meiner Person oder gar meinem Aussehen. Hätte ich also bei meiner Fehlersuche meine Brille vorschriftsmäßig auf der Nasenwurzel anstatt in Manier eines Oberlehrers auf der Nasenspitze platziert, wäre mir wohl schon aufgefallen, dass sich der Kolben der Ölpumpe beim Arbeitshub am Gehäuse des Planetengetriebes verklemmte. Aber ein paar Handgriffe und eine erprobte Ölpumpe behoben schließlich meinen Fauxpas. An der Hinterachse aufgebockt, stand das schwarze Exemplar der Morris Garage abermals für einen Probelauf bereit. Ich drehte den Zündschlüssel, startete den Motor und schaltete vorsichtig in den vierten Gang. »Rückt er ein oder rückt er nicht ein?«, war nun die Frage. Nervös legte ich den Overdriveschalter um. Klar doch, dass sich das Laycock- Aggregat nach einem vierteljahrhundert Betriebspause nicht ohne einen letzten Widerstand zur Wiederaufnahme seiner Pflicht bewegen lassen wollte – kernig brummte der Motor des MG ohne Drehzahlabfall weiter vor sich hin.  Sie müssten mich mal sehen, wenn mich keiner sieht. Auch ich verliere gelegentlich meine Haltung. Derb fluchend unterzog ich die Stromleitzentrale für das Schonganggetriebe einem Belastungstest. Mein Temperamentausbruch zeigte Wirkung. Plötzlich begann sich die Nadel vom Prüfmanometer mit einem zaghaften Zucken gegen die Druck dämpfende Flüssigkeit im Messinstrument zu wehren. Anfänglich mit einem Bar etwas zögerlich, meldete das Kontrollgerät schon bald eine gebührende Menge  Getriebeöl in den ausgetrockneten Pipelines des Laycock- Aggregates.  Lautstark verabschiedete sich das Planetengetriebe aus seinem Vorruhestand. Endlich wurde in der Betriebsstätte des LH-Types wieder Öl gepumpt, eingekuppelt und zwischen den Zahnrädern gemahlt.

»Ich habe ihm versprochen, dass der Overdrive irgendwann funktioniert«, plauderte der gute Freund von KlassikAuto am Tag, als er und seine bessere Hälfte das schwarze Gummiboot in meiner Werkstatt abholten. Ob die beiden wohl schon Reisepläne schmiedeten, als sie beschwingt vom Hof fuhren? Nun, wo das Handschuhfach von Ohrschutzstöpseln befreit und der altgediente Graugussmotor über eine reisetaugliche Drehzahlabsenkung verfügte. Ich weiß es nicht. Auf Sardinien jedoch soll es im Spätsommer sehr schön sein.
Zufrieden und ebenso erleichtert schlurfte ich in meine Werkstatt. Schließlich hatte ich nicht nur erfolgreich meine Arbeit verrichtet, sondern auch ein heimisches Inquisitionsverfahren abgewendet. Allein ein Problem beschäftigte mich dennoch weiterhin: Wo nur sollte ich das gute alte Reparaturhandbuch vom MG in Zukunft aufbewahren? Aber ein geeignetes Plätzchen würde sich schon finden…

Ach ja, die liebe Oldtimerei.

{ 3 Kommentare… lesen Sie unten oder schreiben Sie selbst einen }

Bernd September 16, 2013 um 10:41

HI Micha,
super geschrieben. Irgendwie bekommt die Geschichte und die handelnden Personen einschließlich Auto ein Gesicht.
Köstlich
Weiter so !!!

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st.-foto September 19, 2013 um 18:43

See what happens, when Britsh Engineering meets Italian lifstyle and German “Gründlichkeit”: a problem not just get fixed but analysed precisely and the rubber bumper’s gearbox is put into full operation again. Driver and better half leave for the next ride to enjoyable places (“anchors away!”) and the Chief Mechanic has a specific smile on his face: well done – again – and a beautiful story for us to read. Close your eyes and you will hear almost all related sounds and conversations.

I love to read more of such little impessions of “Oldtimerei”. Well done, Michael.

Henrik.

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Hans-.Jörg Woite September 22, 2013 um 09:15

Ja, so war das – und ich habe ihm noch mehr versprochen im Jahre 1985… Also, als er zu mir kam, war er weiß mit schwarzen Gummistosstangen, viel Rost überall – gerade mal 8 Jahre alt, zugeschweißte Beifahrertür – orange gestreifte Stoffsitze und löchriges Dach. Overdrive !!??? Der Schalter im Schaltknüppel war mit schwarzem Klebeband zugeklebt. Und wer aus der Käferwelt kommt, der wußte gar nicht was ein Overdrive ist. Er war eben richtig häßlich und laut – weil der Auspuff Löcher hatte. Also habe ich ihm gesagt – ihm versprochen – Du wirst mal schwarz werden, Ledersitze bekommen, Edelstahlauspuff, schönesLenkrad, schwarz lackierte Speichenfelgen, neue Spaxx-Stoßdämpfer + Tieferlegungssatz und naja, nachdem ich etwas mehr über ihn und seine Familie erfahren hatte – auch einen funktionierenden Overdrive. Rimini oder Ferrara – was solls – er hat es ohne Overdrive geschafft – fast 65.000 Meilen. So mancher hat sich dran versucht mein Overdrive-Versprechen einzulösen – allein es brauchte 25 Jahre bis es endlich Wirklichkeit wurde.
Das letzte Versprechen: Schicken Chrom vorne und hinten – mal sehen ob er es überhaupt noch haben will. To be continued…

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