KlassikAuto Berlin

Geschichten aus einer Oldtimergarage und dem historischen Motorsport



Benzinköpfe

von M.Pohle am 12. April 2017

Sie nennen sich »Benzinköpfe«. Selbstverständlich gibt es auch einen korrekten Ausdruck, der dem neumodisch anglifizierten, deutschen Sprachgebrauch Rechnung trägt: PETROL HEADS!

... gehört in den Tank, nicht in den Kopf!

Die passende Begriffserklärung und was ein Musterexemplar kennzeichnet, dem Ottokraftstoff das Gehirn vernebelt, liefert die Sonntagsausgabe einer renommierten Tageszeitung. Dort wird der Welt präzise erklärt, es bedarf zunächst erst einmal eines Automobils. Natürlich nicht irgendeines. Es muss zwar nicht teuer sein, darf aber nicht für die einfache Beförderung von A nach B dienen. Schnell wäre nicht schlecht. Überdies hinaus muss man es wirklich lieben! Ganz nebenbei wird die bekannte Floskel »Jemand hat Benzin im Blut« als inkorrekt und nicht mehr zeitgemäß bestimmt. Ich habe die letzten dreißig Jahre meines Lebens mit Kopf und Hand der benzinbetriebenen Fortbewegung auf vier Rädern gewidmet – vom morgendlichen Wimpernaufschlag bis zum allnächtlichen Licht ausknipsen. Und nun diese Aussage. Hatte ich die veränderten Zeichen der Zeit unbemerkt in einem Motorraum oder unter einer Hebebühne verschraubt? Verzweifelt begann ich zu grübeln.

Es blieb mir nichts anderes übrig, als der Angelegenheit auf die Spur zu gehen. Also besuchte ich das PS Online- Magazin des besagten Druckerzeugnisses. Dort philosophieren acht Benzinköpfe regelmäßig über ihre Erlebnisse und Überzeugungen rund um das Automobil. Ich stieß auf ein besonderes Exemplar dieser Spezies…

Ferrari! Warum erregt die Automobilmarke mit dem tänzelnden Pony so viel Aufsehen? Ich verstehe es nicht! Meine vier Begegnungen mit den Sportwägelchen aus Maranello waren eher ernüchternd. In der Mitte der 1990er Jahre besuchte ich den Oldtimer Gran Prix am Nürburgring. Im Fahrerlager präsentierten sich meinen Augen fast fünfzig Exemplare des damaligen Supersportwagen Typ F40, alle in der gleichen Farbe: In Rot.
Von 1315 hergestellten Fahrzeugen wurden weniger als 12 Exemplare in einer anderen Farbe als Ferrarirot ausgeliefert.
Stellen Sie sich nur einmal vor, Sie haben fast ein halbe Million für ein Auto ausgegeben, und ständig verwechseln Sie beim morgendlichen Aufschließen der Fahrertür die Karre mit der ihres gleichfalls gutbetuchten Nachbarn.

Überdies erregten an jenem Wochenende einige klassische Extravaganzen aus der Edelschmiede meine Aufmerksamkeit. Ihre Kleidchen waren auf Hochglanz geputzt, die Radhäuser schmutzfrei und die Reifen ohne Abrollspuren auf dem Profil. Ein verdächtiger Umstand allerdings verwirrte mich – die stummen Zeugen vom Rausch der Geschwindigkeit auf den Scheinwerfergläsern und Windschutzscheiben. Woher stammten nur all die vielen zerplatzten Insekten? Mir drängte sich  der Verdacht auf, hier kann es sich nur um tote Fliegen aus der Spraydose handeln. Argwöhnisch versuchte ich Licht ins Dunkle zu bringen und befragte unzählige Besitzer der formschönen Kostbarkeiten nach diesem sonderbaren Umstand. Ich stieß auf eine Wand des Schweigens. 
Selbst renommierten Herstellern der Autokosmetikindustrie ist dieses Wundermittel unbekannt.  Meine vielfachen Recherchen in den Produktinformationen und Anfragen in den hiesigen Vertriebsabteilungen der Pflegemittelhersteller blieben bis heute erfolglos. Nach über zwanzig Jahren intensiver Fahndung drängt sich mir die Erkenntnis auf, hier kann es sich nur um ein streng geheimes Produkt aus dem Hause Ferrari handeln. Ausnahmslos erhältlich für gutbetuchte Reiter, die ihr Pony ohne Schweißperlen auf der Stirn nicht an dessen Leistungsgrenzen treiben wollen. Oder zur Vorbeugung depressiver Stimmungsschwankungen, wenn der kleine Hengst sich im Winter wieder einmal vor dem Schnee sträubt. Dabei hätte ich ein Sprühfläschen dieses Wundermittel so gern, um einigen Exponaten meines Fuhrparks ein wenig Gebrauchszustand zu verpassen.

Am Ende der 1990er Jahre synchronisierte ich die Vergaseranlage eines Ferraris 308. Nach erfolgreich bewerkstelligter Arbeit  klingelte es viele Wochen in meinen Ohren und ich litt unter ausgeprägter Schwerhörigkeit.

Meine letzte Begegnung mit dem Mythos Ferrari führte mich endgültig an die Schwelle einer Depression. Ich kurvte vor drei Jahren mit einem Freund auf der Suche nach Ersatzteilen für seinen Alvis in einem 612 Scaglietti durch die verregnete Stadt. Berlins orthopädische Ärzteschaft verzeichnete am nächsten Tag einen erheblich angestiegenen Anteil an verrenkten Halswirbelsäulen – vermutlich. Ich indessen entstieg nach sechs Stunden vollkommen gelangweilt einem Auto, dessen Auspuff so heiser hüstelte, wie die von einem Katarrh gequälten Stimmbänder eines Heranwachsenden während des Stimmbruches, weil er heimlich raucht. War meine automobile Leidenschaft nach dreißig Jahren tatsächlich schon so abgestumpft? Sie war es nicht! Aber dazu später mehr.

Das es auch Menschen mit anderen Sichtweisen gibt, davon zeugen die Bekenntnisse eines Ferrari-Fahrers auf besagtem PS-Magazin. Mit 12 Zylindern, 515 Pferdestärken und einem gebrauchten 575 Maranello erfüllt der Pferdeflüsterer natürlich die Grundvoraussetzungen für die Aufnahme in den Club der Petrol Heads. Mir scheint allerdings, man ist in jener elitären Gemeinschaft gerne geheimnisvoll. Anders kann ich mir nicht erklären, warum der gute Mann die Welt unter dem Pseudonym Anonymus an seinem Bazillus teilhaben lässt. Aber ich lerne schnell: Als Dompteur eines italienischen Vollblüters hat man es im automobilen Leben nicht leicht!

Das Leiden eines Ferrarista beginnt damit, dass sich das schwarze Vollblut gerne als Sommerpony entpuppt. Es liegt natürlich nicht am Hengst aus dem Gestüt in der Via Emilia No.1163. Viel mehr  entpuppt sich der Reiter als latent depressiv, weil er im Winter mit seinem Ross selbstverständlich nicht  über verschneiten oder vereisten Asphalt galoppieren will. Das geliebte Rennpferd könnte Gefrierbrand erleiden. Oder gar an einer Streusalzinfektion erkranken. Obendrein bekundet das spezielle Exemplar eines Benzinkopfes offenherzig, dass es sich nach dem Kauf seines Cavallino Rampante einfach keine Winterreifen mehr leisten kann. Also steht sich der teure Sportwagen in der frostigen Jahreszeit in einer dunklen Tiefgarage die Beine in die Hufeisen, staubt ordentlich ein und sorgt für schwere Stimmungsschwankungen beim Jockey. Wie viele vom Winter leidgeprüfte Petrol Heads könnte auch bewusster Automobilenthusiast auf ein bewährtes Heilmittel zurückgreifen – ein gutes Buch bewirkt Wunder, während Schneeflocken und Eiskristalle um die Gunst vom Wintermantel buhlen. Aber das Martyrium anonymer Liebhaber modenesischer Sportwagen setzt sich fort.

Hier kommt´s rein: Stilvolle Futterluke

Spätestens bei der Auswahl das Gemüt belebender Leselektüre über die heißinnig verehrte Edelmarke widerfährt einem Pferdefreund das Gefühl der Minderwertigkeit. Jaaa, für Porsche-Fahrer gibt es Berge erstklassiger Literatur und ansprechende Zeitschriften, während das Angebot und die Güte im Blätterwald über den ikonischen Sportwagenhersteller aus Italien nicht annähernd mit der Qualität seiner Produkte aus den Werkhallen schritthalten kann. Nur 1000 verfügbare Titel erfordern außergewöhnlichen Spürsinn, um die richtige Auswahl zwischen Kitsch und der leider nicht mehr lieferbaren, heiligen Bibel über den Opus Ferrari zu wählen. Überdies verlangen tatsächlich einige der Publikationen nach der goldenen Kreditkarte des Lesers. Langsam fing Anonymus an mir leid zu tun. Ich war froh zu lesen, dass der grausam gebeutelte Benzinkopf wenigstens ein erstrebenwertes Buch fand, um vor winterlichen Depressionen gewaffnet zu sein.
Gott sei Dank ist der Gute kein Fan eines Rover P4 – nur fünf erhältliche Buchtitel, keiner in deutscher Sprache, bieten nämlich wahrhaftig Grund beim Oberhaupt der örtlichen Pfarrgemeinde um seelischen Beistand zu bitten!

Winterliche Standschäden in der Gemütslage eines benzingetränkten Gehirns genesen hundertprozentig im Frühjahr.

Kaum sind mit dem ersten Sonnenstrahl die eingestaubten Schutzdecken vom Herzenbrecher gezogen, erweckt die bevorstehende Saison ein alljährlich wiederkehrendes Ritual: den Frühjahrsputz
Mit Inbrunst, die einem sonst nur auf dem Stehplatz in der Stadionkurve eines Fußballklubs begegnet, wird in den Garagen staubgewedelt, shampooniert, trockengeledert und geölt. Nebenbei wird mit der Frühjahrspflege auch die monatelang eingefrorene Beziehung zum geliebten Fortbewegungsmittel aufpoliert. Moderne Rennreiter hingegen lassen putzen. Sie bringen ihr geliebtes Objekt zum Pferdepfleger: einem Kosmetiker oder auch Car Detailer genannt.
Natürlich! Ein Sportwägelchenjockey macht sich manikürte Fingernägel nicht persönlich schmutzig. Das der italienischen Rappen nur mit allerfeinsten Kosmetika unser eidgenössischen Nachbarn aufgefrischt wird, versteht sich von selbst. Das ist jenes sündhaft teure Zeug, das man mit den bloßen Händen über die Haut und Rundungen seines Schatzes streicht. Es gibt sogar einen Tiegel Wachs mit klangvollen Namen, der exklusiv für das Fell der edlen Rösser aus Modena komponiert wurde: SCUDERIA.
Mit außerordentlich wohlriechenden Shampoos, Cremes und Wachsen wird dem edlen Ross zu Leibe gerückt. Unfassbar, wie berauscht A. die Aromen der heilig geschriebenen Pflegemittel authentisch zum Erleben brachte. Plötzlich umgab ein mir wohl vertrautes Bukett meinen Bildschirm, fast so, wie es jeden Freitagabend daheim duftet, wenn meine Hauszierde aus dem russischen Kosmetiksalon an der Ecke heimkehrt – und beweint, wie teuer doch der Erhalt der Schönheit wäre.
Gewaschen, die Falten geglättet, poliert und gewachst, glänzt der Hengst wieder wie neu – und bleibt doch nur ein gebrauchter Klepper. Sie ahnen es sicherlich, zum Leiden moderner Petrol Heads verlangt der professionelle Mann mit der göttlichen Striegelbürste gerne nach der goldenen Kreditkarte.
Und überhaupt frage ich Sie: Würden Sie Ihr Schätzchen von einem Fremden befummeln lassen?

Mit frisch gestriegeltem Hengst kann der Ferrarista wieder auf die Rennbahn traben. Endlich steht nach Monaten der Entbehrung dem ersten Ausritt nichts mehr im Wege. Kaum auf dem Geläuf, naht schon das nächste Unheil. Wie lästige Flöhe im Fell, hängen sich AMG getunte Familiensterne oder als Rennwagen charakterisierte Vertreterkutschen biederer Großserienhersteller an den Schwanz des edlen Rosses. Klar, Ferrari-Fahrer bleiben in solchen Momenten gelassen, sie lassen sich nicht von jedem Gaul aus der Reserve locken. Obwohl sie schon gerne um die Wette streiten – mit Maserati, Lamborghini oder Porsche.
Statt ordentlich aufs Gas zu treten, philosophiert der Reiter lieber darüber, dass ein Ferrari 575 zur Vernunft, Bescheidenheit und Sparsamkeit erzieht. Hohe Wartungskosten und der geringe Benzinverbrauch von 36 Liter auf 100 Kilometern reißen diskussionswürdige Lücken ins Familienbudget. Wettrennen auf der Landstraße, Burnouts an der Ampel? Natürlich nicht, die Aura eines Gran Tourismo verführt zum Cruisen statt zum Rasen – schließlich hat man kein Formel 1 Rennpferd aus dem italienischen Gestüt gekauft.
Anstelle mit dem Heck zu wedeln wird schon der Verlust des Kennzeichens – weil die Karre so verdammt tief liegt – an einem zu hohen Bordstein als großes Abenteuer ausgelobt. Spätestens in diesem Augenblick hatte ich genug von den Bekenntnissen des namenlosen Pferdeliebhabers. Ich überlegte kurz, ob ich der Redaktion des Magazins für die Selbstbeweihung dieses merkwürdigen Benzinkopfes ein paar Räucherstäbchen fürs Handschuhfach und eine Guy Fakes-Maske schicke, damit der Gute seinen Seelenfrieden fände und in seinem Edelsportwagen standesgemäß gekleidet wäre.

Glücklicherweise gibt es aber auch andere Exemplare dieser Spezies: Vor zwei Jahren besuchte ich die Classic Days in Dyck. Eine bizarre Person warte im Hotel gemeinsam mit mir am Aufzug. Schüttere blonde Haare, ausgelatschte Turnschuhe und ein Leopardenmantel aus Plüsch zierten die geklonte Version von Bernie Ecclestone. Eine Zigarettenlänge darauf, donnert der außergewöhnliche Typ hinter dem Steuer seines millionenschweren Bentley Kompressor- Vorkriegsrennwagen aus Cricklewood an meinem Shuttlebus vorbei. Kaum auf dem Festival angekommen, habe ich ihn auf dem sandigen Erdboden liegen sehen. Mit einem Bowler auf dem Kopf, fummelte er mit seinen Händen unter dem Bentley am ölverschmierten Getriebe herum – das Schaltgestänge war ein wenig tricky.
Allmächtiger, es scheint, als wäre meine Welt doch noch in intakt…

Ach so, ich bin Ihnen etwas schuldig – die Erklärung, warum nach über drei Jahrzehnten noch immer 102 Oktan an Leidenschaft für außergewöhnliche Automobile durch meine Adern fließt. Nur wenige Tage nach meinem denkwürdigen Erlebnis im Ferrari 612 pilotierte ich den Alvis auf einer Probefahrt über die brandenburgischen Landstraßen. Der Himmel öffnete seine Schleusen und die Scheibenwischer des edlen Briten ergaben sich umgehend widerstandslos der herabstürzenden nassen Pracht. Mit Schweißperlen auf der Stirn wuchte ich das schwere Ungetüm bei Höchstdrehzahl durch die Kurven über den regengetränkten Asphalt, die Bremse in Alarmbereitschaft, um dem noblen Gefährt ein Rendezvous mit dem Straßengraben zu verwehren. Aber die reparierten Vergaser mussten unbedingt auf Herz und Nieren geprüft werden.
Heinrich, der gemütliche Ausfahrten in englischen Luxuslimousinen schätzt, torkelte nach der Probefahrt fiepend auf seine Werkstattdecke. Und strafte mich für den Rest des Tages mit beleidigten Blicken. Meine Frau hingegen fragte mich beim Abendessen beiläufig: » Schaatz, war heute etwas Außergewöhnliches in der Werkstatt? Du hast wieder diesen besonderen Glanz in deinen Augen «.

Ach ja, die liebe Oldtimerei.

{ 3 Kommentare… lesen Sie unten oder schreiben Sie selbst einen }

st.-foto April 13, 2017 um 19:23

Hallo Micha,
scharfe Beobachtung aus der realen Umgebung an entsprechenden Lokationen. Dazu passend heute ein Artikel im Tagesspiegel (#23 086 vom 13. April 2017): die andere Spezies solchen Genres haben auch ein “Rössle” im Wappen und erscheinen mit ähnlicher Attitüde bei ebensolchen Veranstaltungen. Und nun? Du schreibst in deiner Zusammenfassung vom Glanz in den Augen, dem Benzin im Blut und der lieben Oldtimerei. Genau das ist es und die anderen haben auch ihren Spaß.

Henrik.

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B ernd April 21, 2017 um 12:10

Schön Micha.

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Magdalena Mai 8, 2023 um 22:47

Deinen Text zu lesen ist wie langsam und genüsslich eine große Schüssel Schoko-Mousse auszulöffeln! Genial geschrieben – Du hattest recht – ich liebe Deinen Text (habe erst einen gelesen, den hier! ;-)

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