KlassikAuto Berlin

Geschichten aus einer Oldtimergarage und dem historischen Motorsport



Ein Leben am Limit

von M.Pohle am 22. Dezember 2016

Kleine Jungs spielten nicht mit Mädchen. Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts sowieso nicht. Und wenn sie schließlich erwachsen, vielleicht auch noch gut betucht waren, erst recht nicht. Ihre bevorzugten Spielzeuge hatten vier Räder und mächtig Hubraum – oder aber Flügel und einen Sternmotor mit voran geschraubtem Propeller.

Ein Beispiel par excellence bieten die berühmten Bentley-Boys der 1920er Jahre. Dabei hätte die wilde und schnelle Truppe um Woolf Barnato, Tim Birkin und Dudley Benjafield zu ihrer Zeit durchaus eine ebenbürtige Spielgefährtin gehabt: Mrs. Mildred Victor Bruce.

Sie war schön, zierlich und schon früh dem Rausch der Geschwindigkeit verfallen. Für die Sympathisantin der Schnelligkeit galt die Devise: Langsamkeit ermüdet mich!
Was Männer konnten, das schaffte sie auch – zu Lande, zu Wasser und in der Luft.

Eigentlich sollte die am 10.November 1895 in Chelmsford, Essex geborene Mildred Mary Petre nur auf das neue Motorrad ihres Bruders Obacht geben. Aber sie lernt die Matchless zu fahren und erkennt schnell, ein frisierter Auspuff lässt das gute Stück besser klingen und obendrein auch schneller werden. Fortan knattert sie mit wehendem roten Haar und ihrem Collie im Seitenwagen äusserst flott durch die englische Landschaft. Angeklagt wegen Lärmbelästigung und Geschwindigkeitsüberschreitung, erwidert sie schelmisch die Frage des Richters, ob sie für das Motorrad einen Führerschein besitzt: »Nein, aber ich habe eine Genehmigung für den Hund«. Mildred ist gerade 15 und die Zeit schreibt das Jahr 1911.
Es sollte nicht ihre letzte Auseinandersetzung mit dem Gesetz bleiben.

Ein flottes Paar

Endlich erwachsen, kauft sich Mildred kurz nach dem ersten Weltkrieg vom ersparten Geld ihr erstes Automobil. Die Leidenschaft für Tempo und Beschleunigung zieht recht schnell einige Bestrafungen wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen vor dem berühmten »Bow Street« Amtsgericht in London nach sich, fördert im Gegenzug aber ihren Entschluss, eine Karriere als Rennfahrerin einzuschlagen. Zugegeben, Frauen im Motorsport waren in den 1920er Jahren kein Novum mehr, aber Mildred ragte im Reigen schneller Schönheiten durch Geschick, Wagemut und Ausdauer besonders hervor. Vor allem ihre Ausdauer bescherte ihr im Laufe des Erfolges einen legendären Ruf. Es scheint wie ein Wink des Schicksals, das sie ausgerechnet dem Aristokraten Victor Austin Bruce begegnet. Der Werkstestfahrer für den Automobilhersteller AC teilt ihre Leidenschaft für schnelle Automobile und gewinnt 1926 als erster Engländer die Rallye Monte Carlo. Ein Jahr später bestreiten beide als Ehepaar die Hatz durch das monegassische Fürstentum. Ganz in der Tradition der damaligen Zeit nimmt Mildred den Namen ihres Mannes an. Nunmehr als Mrs. Victor Bruce, startet sie die Rallye in ihrem Rennwagen an der nördlichsten Spitze Schottlands. Regen und Stürmen zum Trotz, im ständigen Kampf gegen die Müdigkeit, meistert sie nonstop die 2700 Kilometer weite Anreise zum Rennen . Als sie schließlich ihr Sportgerät vor dem berühmten Casino in Monte Carlo parkt, schläft sie erschöpft über dem Lenkrad ein. Doch der Lohn für ihre Anstrengung ist angemessen: Sie gewinnt den »Coupe de Dames« und wird sechste im Gesamtklassement der 1927er Rallye Monte Carlo.

Die Bruces aber können ihre Begeisterung für den Rennsport nicht mit eigenen finanziellen Mitteln bestreiten. Testfahrten für Reifenhersteller, Sponsoren und die journalistische Selbstvermarktung ihrer automobilen Abenteuer finanzieren ihre Leidenschaft. So erscheint 1927 Mildreds Buch »Neuntausend Meilen in acht Wochen« und berichtet einträglich über eine waghalsige Rundfahrt quer durch Italien, Nordafrika und Spanien. Und Lesestoff zum Träumen produziert die beherzte Engländerin mehr als genug. Noch im selben Jahr stellt sie mit ihrem Ehemann auf der Test- und Rennstrecke im französischen Montlhéry einen neuen Langstrecken-Weltrekord auf. In einer tollkühnen »Zehn Tage- zehn Nächte« Rekordfahrt bewältigt das Paar bei eisigen Wintertemperaturen über 24.000 Kilometer in einem offenen AC Sportwagen. Dabei ist Mildred ganz Lady und kleidet sich trotz der widrigen Umstände wie stets in Rock und Jacke. Unverzichtbar und immer dabei: ihre heißgeliebte Perlenkette.
Ein Fellteppich aus dem Hotelzimmer ersetzt das wärmende Beinkleid, während sich ihre Konkurrentinnen vor der frostigen Kälte mit Overall und Hose schützen.

Im Sommer 1929 kehrt sie zu einem weiteren spektakulären Rekordversuch nach Montlhéry zurück. Bentley-Boy Tim Birkin leiht ihr zu diesem Zweck seinen berüchtigt schnellen Bentley 4,5 Liter Kompressor-Sportwagen, den Mildred 24 Stunden allein hinter dem Lenkrad 3458 Kilometer mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 145 km/h über die Rennstrecke treibt – ein Rekord, der 50 Jahre besteht und nie wieder von einer Frau gebrochen wird. Der British Racing Driver Club applaudiert und belohnt die Glanzleistung mit einer lebenslangen Ehrenmitgliedschaft.

Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist

Das Ansehen der Bruces in Großbritannien ist zu Beginn des Jahres 1930 legendär. Doch Mildred verspürt auf dem Höhepunkt ihrer Karriere als Rennfahrerin die Lust auf neue Abenteuer . Sie sticht mit einem kleinen Rennboot für eine kurze, aber rasante Liebelei in See. Auch auf dem Wasser – wie sollte es anders sein – schreibt sie ihren Namen in das Buch der Rekorde. Die pfeilgeschwinde Insulanerin überquert den Ärmelkanal in Rekordzeit: Dover – Calais und zurück in unter zwei Stunden. Das Leben der Mrs. Bruce ist alles, nur nicht langsam.

Die fliegende Hausfrau

Schuhe, Kleider, Accessoires – so liest sich im Allgemeinen die Liste begehrenswerter Lebensbegleiter, wenn eine Frau auf Shoppingtour geht. Nicht jedoch für Mildred. Bei einem Einkaufsbummel im Frühjahr 1930 entdeckt sie in einem Londoner Schaufenster ein kleines Sportflugzeug. Der Kauf der Maschine legt den Grundstein für eine weitere Passion: die Fliegerei.
Im Rekordtempo von zwei Wochen und nur vierzig Flugstunden erwirbt Mildred den Pilotenschein. Es scheint fast selbstverständlich, dass sich eine Frau vom Schlage ihrer Persönlichkeit nicht mit kleinen Ausflügen übers Land zufrieden gibt – die kühne Britin will einmal um die ganze Welt. Das kleine Flugzeug vom Typ Blackburn Drossel mit dem Namen »Bluebird«, eigentlich nur für Rundflüge geeignet, avanciert zum Werkzeug für die erste Umrundung des Globus in der Luft durch eine Frau. Vollgestopft mit Ersatzteilen, den Sitz des Co-Piloten mit einem zusätzlichen Benzintank ersetzt, droht das leichte und zerbrechliche Fluggerät kurz vor dem Start zu überlasten. Besorgt wendet ihr Chefmechaniker ein, sie möge doch auf das schwere Diktiergerät verzichten. Aber ihr Ehemann lacht nur und entgegnet: »Guter Mann, vergessen sie es. Bevor meine Frau ihrem heißgeliebtes Diktafon entsagt, verzichtet sie lieber auf den Rettungsfallschirm«. Glaubt man den Überlieferungen der Geschichte, erhob sich die kleine Bluebird schließlich in den Himmel und der Fallschirm verblieb tatsächlich am Boden.

Drei Monate nach ihrem Start in London erreicht Mildred über Europa, den Orient und Asien schließlich Tokio. Die Flugzeuge jener Zeit aber verfügten nicht über die Reichweite um den Pazifik oder Atlantik nonstop in der Luft zu überqueren. So bewerkstelligt sie die Seepassagen mit dem Passagierschiff. Ihr Überflug des nordamerikanischen Kontinents erregt Aufsehen, denn etliche Bruchlandungen überschatten die Reise. Als Sie schließlich New York erreicht, umkreist sie mehrmals das Empire State Building. Es heißt, ihre Kreise waren so eng, das eine Schreibkraft im Gebäude ihre strahlend blauen Augen erkennen konnte. Nach der Landung liegen die New Yorker ihr zu Füssen, der hiesige Polizeiapparat hingegen ist not amused und verhaftet die Engländerin.
Im Februar 1931 schließlich, berichtet Englands Presse über die erfolgreiche Rückkehr »der fliegenden Hausfrau aus Davonshire«. Nach fünfmonatiger Exkursion – mit einigen neuen Rekorden im Gepäck – stellt sie auf dem Londoner Flugfeld in Croyden den Motor ihrer Errungenschaft eines nicht alltäglichen Einkaufsbummels ab.

In der Folgezeit wird es still um die Apostel der Verwegenheit. Dennoch bleibt Mildred der Luftfahrt verbunden. Sie gründet in der Mitte der 1930er Jahre eine Passagier- sowie eine Transportfluggesellschaft und heiratet in zweiter Ehe ihren Geschäftspartner Eric Noddings, der jedoch 1941 verstirbt. Mit ihrer Airline, die erste die Fluggäste mit Stewardessen verwöhnt, reist es sich nicht nur bequem, sondern auch besonders flott. Ganz dem Charakter ihrer Gründerin entsprechend, fliegt keine Fluggesellschaft schneller die Strecke von London nach Paris. Doch der schwarze Schatten, der sich zum Ende der 1930er Jahre über die Welt legt, verlangt Opfer. Mensch und Material des kleinen Unternehmens werden mit Beginn des Krieges in die Verteidigung des königlichen Empires einbezogen.

Nach dem zweiten Weltkrieg versucht sich Mildred erneut und erfolgreich als Unternehmerin. Sie produziert Handschuhe, baut Omnibusse, engagiert sich in der Immobilienwirtschaft und sammelt Antiquitäten. Ihre Liebe für die Geschwindigkeit jedoch erlischt nie. Im Alter von 81 Jahren veröffentlicht sie ihre Memoiren »Nine Lives plus« – und fliegt zur Promotion in einem kleinen Sportflugzeug ein paar Schleifen und Loopings am Himmel.

Mildred Mary Petre Bruce starb 1990 in Camden, London. Sie hinterließ der Welt siebzehn Langstrecken- und Geschwindigkeitsrekorde zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Well done!

Foto: Buch Mrs. V. Bruce / “Nine Lives Plus”/ via Liz-Turner.com

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