KlassikAuto Berlin

Geschichten aus einer Oldtimergarage und dem historischen Motorsport



Komm mit ins Abenteuerland

von M.Pohle am 30. April 2015

Wie gestalten Sie als anglophiler Autonarr eigentlich Ihren Sonntagnachmittag? Die Sammlung britischer Automobilkultur ist auf Hochglanz poliert, die Devotionalien in der Vitrine ebenfalls entstaubt. Und der englische Rasen im Garten vor der Garage ist sowieso bereits penibel beschnitten. Bis zum Tee um Fünf bleibt aber noch Zeit.

Schaut doch gut aus, ooder ?

Besuchen Sie doch einschlägige Auktionshäuser im Internet. Stöbern Sie ein wenig durch die Angebote, vielleicht findet sich ja ein Schnäppchen, das ihren Fuhrpark ergänzt. Das ein oder andere gute Stück, dass Sie schon immer bewunderten, nie aber zwingend besitzen mussten, ist sicherlich schnell aufgespürt. Die Verlockung ist groß, kribbelig huschen ihre Finger über die Tastatur, das Gebot steht. Unerfreulicherweise bietet an diesem Nachmittag niemand mehr für Ihr auserkorenes Objekt. 3-2-1…! Herzlichen Glückwunsch, Sie haben sich soeben als Spaßbieter entlarvt.

Etwas überraschend ersteigert ein guter Freund an einem reizlosen Sonntagnachmittag auf der englischen Plattform des Auktionshauses Ebay einen Rover P6 2200 SC. Er beschließt die Verantwortung für seinen impulsiven Akt zu übernehmen, denn die Verkaufsbeschreibung liest sich durchaus gut . Der Spontankauf aus den Werkshallen in Sollihull soll nach Berlin  geschafft werden. Als ich gemeinsam mit ihm an einen Samstagmorgen die  Reise in die britischen West Midlands antrat, erahnte ich nicht, welche Abenteuer mir an diesem Wochenende bevorstehen sollten.

Water Orton, gleicher Tag, späte Mittagszeit. In diesem beschaulichen Örtchen in Warwickshire verlangt das vorausgegangene Ereignis eine spontane Änderung der präzise geplanten Einkaufstour. Unerwartet stellt sich die Frage: Bus oder Bahn? Was aber war geschehen?

Martin, freundlicher Verkäufer des Rovers, holte uns in Birmingham vom Bahnhof ab. Mündlich flott berichtet er auf dem Weg nach Water Orton von seinen Oldtimerprojekten und lobt den P6 2200 SC in höchsten Tönen. 13 Jahre war der Rover in Besitz des vorherigen Eigentümers, die letzte Wartung und einen Ölwechsel habe er noch durchgeführt, das Auto ist ungeschweißt! Leider erwecken mit Klebeband geflickte Kühlwasserschläuche, eine rasselnde Steuerkette und spärlicher Öldruck wenig Vertrauen für eine sichere Rückreise ins heimische Berlin. Rings um die Karosserie bahnen sich  braune Flecken ihren Weg ans Tageslicht. Plötzlich gewinnt die verkaufsfördernde Aussage »Ungeschweißt« eine gänzlich neue Bedeutung. An diesem Tag verbleibt das avantgardistische Gefährt der sechziger Jahre aus Sollihull im idyllischen Water Orton. Martin ist das ziemlich egal: »Kein Problem. Wenn ihr dieses hervorragende Auto nicht haben wollt! «

Eine Busfahrt, die ist lustig...

Es qualmte und stank aus dem Auspuff eines betagten Omnibusses der hiesigen Verkehrsbetriebe, der uns schließlich nach Birmingham zurückbrachte. Von dort ging es mit der Bahn zum nächsten Reiseziel: unserem Nachtquartier in Bristol.

Nun, nachdem wir über einen nicht unbeträchtlichen Erfahrungsschatz in automobilloser Fortbewegung verfügten, sollte uns in Bristol abermals ein Omnibus dienen, vom Bahnhof Park Way unsere Logis im kleinen Vorort Warmley der Metropole am Fluss Avon zu erreichen. Vom Pech verfolgt, stiegen wir diesmal einige Stationen zu früh aus. Verirrt, und ebenso verwirrt, versprach uns Gestrandeten schließlich nur noch ein Taxi die Rettung. Wenn Sie als verwöhnter Großstädter vertraut sind, sich die benötigte Droschke eben schnell am Straßenrand herbeizurufen, werden sie in Warmley allerdings enttäuscht.  Und vermutlich befinden sich die berühmten roten Telefonhäuschen alle in den Requisiten der Filmindustrie, Museen oder privaten Sammlungen. Grund genug, um in einem zünftigen Pub nach einem Taxi zu fragen, an der Feierabendkultur des Engländers teilzuhaben und die Reisestrapazen mit einem hochprozentigen Pint herunterzuspülen. Seltsam, welche ungewöhnlichen Sportarten über eine Großbildleinwand in der urigen Lokalität flimmerten. Aber wir haben es schließlich doch geschafft – der örtliche Chauffeurdienst setzte uns in den frühen Abendstunden vor dem Eingang unseres charmanten, typisch britischen Nachtquartiers ab. Rechtzeitig genug, um überraschend von einem unserer Herbergsväter auf eine Geburtstagsparty eingeladen zu werden. Ein anstrengender Reisetag endete inmitten tanzwütiger Ladies, trinkfester Gentlemen mit einem schmackhaften Spanferkel, das über offenem Feuer gemütlich seine Runden dreht.

Haben Sie ihr Frühstück schon einmal zwischen anglophilen Asphaltschätzen genossen? Nein? Ich schon, denn der folgende Morgen offenbarte in den hinterhöfischen Garagen unserer Nachtherberge so manch britisches Altmetall. Und jeder der rollenden Schätze stand darüber auch zum Verkauf. Plötzlich keimte die Hoffnung, die bevorstehende Heimreise wie geplant in einem Oldtimer anzutreten. Doch zuvor lassen sie mich Ihnen erklären…

Der Wohltäter unserer nächtlichen Ruhestätte – namentlich Bob – erwirbt hin und wieder gerne das ein oder andere gute Stück automobiler Geschichte. Ob für die Hochzeit seiner Tochter oder einfach nur als Schnäppchen, ein guter Grund findet sich immer. Und während er hauptberuflich auf der Suche nach fossilen Brennstoffen irgendwo die Weltkugel anbohrt, muss in der Heimat sein guter Freund Steve derweil das eingekaufte Garagengold wieder an den Mann bringen. Morgendlicher Instant Kaffee, Sojawurst und gegrillte Tomaten mit Speck entfalteten ungewöhnliche Gaumenfreuden zwischen Austin 7, Rolls Royce Silver Shadow und einem nie zuvor gesehenen Sunbeam MK III - leider erwiesen sich die Gefährte aber als unpassende Reisemobile. Schade. Doch Bobs Fuhrpark verteilt sich über ganz Warmley. Ein wenig später befanden wir uns mit seinem besten Freund auf Erkundungstour durch den kleinen Ort. Selbstverständlich wurden wir fündig! Unter dem heftigen Knarzen und Quietschen der rostigen Stahltür einer kleinen Blechgarage erblickt ein besonderes Gefährt das Tageslicht: ein 1964er Wolseley Hornet MK II.

Vom Gedanken ihre geliebte Insel verlassen zu müssen, schien die kleine Hornisse zunächst nicht amüsiert. Der Kofferdeckel sperrte sich gegen seine Öffnung, nach einer kurzen Probefahrt bildete sich eine bedenklich große Wasserlache unter dem Motor. Rasch war eine lose Schlauchschelle als Schuldige der Inkontinenz ausgemacht. Ein kurzer Handgriff minimierte denWasserverlust immerhin auf wenige Tropfen. Wortlos – und ein wenig besorgt – schauten sich zwei heimwehvolle Berliner in die Augen. Sollte die automobile Rückreise an ein paar Wassertropfen scheitern?
Sie tat es nicht. Zumal die verkaufsfördernde Zugabe einer neuen Schlauchschelle, eines Schraubendrehers und eines großen Kanister, gefüllt mit ausreichend Reservekühlflüssigkeit, nicht nur freundlich erschien, sie wirkte obendrein äußerst beruhigend. Bei strahlendem Sonnenschein machten wir uns auf den Weg.

Fünfzig Meilen hinter Warmley dampfte es aus dem Motorraum, wie aus einem Becher frisch gebrühten Kaffees des Starbucks Coffee Shop, vor dem die kleine Kiste liegenblieb. Weitere 10 Meilen endete die Heimfahrt auf der  Raststätte Reading des Motorways M4. Unaufhaltsam sucht sich das kühlende Nass seinen Weg auf den Straßenasphalt – wie es in den Kühler eingefüllt wird, schifft es unten wieder raus. Etwas ratlos begann ein zweiköpfiger Krisenstab fieberhaft nach einer Lösung zu suchen.

Gestern, heute, morgen - so könnte die Überschrift über den Fortgang der Geschehnisse auf einem Parkplatz einer englischen Autobahn treffend lauten. Während das kleine vierrädrige Überbleibsel aus den späten Sechzigern seinen Dienst verweigerte, stellte derweil ein praktischer Gegenstand des 21.Jahrhundert seine Nützlichkeit unter Beweis. Die flinken Finger eines Havaristen wählen auf dem neuesten Smartphone die Nummer der Notrufzentrale des Allgemeinen Deutschen Automobil Clubs. Und schon dreißig Minuten, nachdem in einem Hamburger Call Center eine freundliche Telefonstimme  die Koordinaten zweier gestrandeter Automobilisten aufgenommen hatte, kam ein Servicefahrzeug des britischen AAA vor dem kleinen Hornet zum Stehen. Freundlich stellte sich ein Mechaniker mittleren Alters vor, fragte nach dem Grund unserer Panne und bemerkte beiläufig: »Machen Sie sich keine Sorgen, ich habe auf diese Autos gelernt! «  Soviel Kompetenz bereitete Zuversicht. Aber haben nicht eigentlich alle englischen Automechaniker ihre Ausbildung an einem Mini gemeistert?

Trotz aller Fachkompetenz, die Schadensdiagnose erwies sich ernüchternd. Ein Riss vom Kühlwasserschlauch zwischen Wasserpumpe und Zylinderkopf begründete, warum das Kühlsystem schließlich seine Schleusen vollständig geöffnet hatte. Obendrein lässt sich das gute Stück eigentlich nur auswechseln, wenn dafür „das halbe Auto” zerlegt wird. Es schien, als müssten wir einen weiterenTag in Reading und einer Autowerkstatt verbringen. Doch an diesem Nachmittag delegierte die englische Königin ihren ausländischen Gästen nicht irgendeinen Mechaniker, sie entsendete den Mechaniker. Unter heftigen Rückenschmerzen, mit blutigen Händen, machte der gute Mann das Unmögliche möglich. Der rettende Engel fingerte in einer dreiviertel Stunde einen neuen Schlauch an seinen bestimmten Platz und der Motor der Hornisse schnurrte wieder tadellos und tropfenfrei. Während die gebuchte Fähre schon lange über den Ärmelkanal Richtung Antwerpen schipperte, fädelten wir uns ins den frühen Abendstunden endlich wieder auf die Autobahn ein. Die Dämmerung brach herein, es wurde Nacht über England.

In der Finsternis hat der Teufel gerne seine Hand im Spiel. Kaum dem einen Unglück entronnen, suchte uns das nächste Missgeschick heim: Wir haben uns verfranzt.  Fern ab vom Motorway Richtung Dover, kurvten wir in der Folge durch die dunklen Wälder von Kent. Besser hätte auch Edgar Wallace in dieser Nacht nicht Regie führen können. Während die Scheinwerfer der Hornisse den Weg durch die von hohen Hecken gesäumten Landwege erleuchteten, erspähten meine Augen in einem kleinen Dorf ein geheimnisvolles Licht. Aber dazu später mehr. Weit nach Mitternacht verkündete das Geschrei der Möven über Folkstone, das wir dem Festland endlich wieder nahe waren.

Dover, Calais, Brüssel, Berlin – der kleine Wolseley hat uns am Ende sorgenfrei nach Hause gebracht. Wie aber beendet man die Geschichte eines Wochenendes, das voller Überraschungen und Abenteuer steckte. Es bieten sich die üblichen Floskeln an: »Ende gut, alles Gut«. Oder: »Es kommt immer anders, als man denkt«. Vielleicht wäre die Randnotiz geeignet, das der Sesam der Hornisse zuletzt doch noch sein Geheimnis offenbarte. Im Kofferraum lagerten Unmengen von Kartons, vollgestopft mit Ersatzteilen. Mir hingegen gefällt folgendes…
Wenn Sie, lieber Oldtimerfreund, ihrer Angebeteten einen Antrag machen möchten, aber noch immer keinen geeigneten Ort dafür gefunden haben, dann empfehle ich Ihnen Goudhurst in West Kent/ Großbritannien. Besuchen Sie das kleine Nest an der A262, in dem sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Während die englischen Narzissen in den Abendstunden einen unbeschreiblichen Duft versprühen, funkeln die edlen Rolls Royce- und Bentley Karossen im backsteinroten Verkaufsraum von Robert und Carl Sargeants bei schummriger, Kerzenlicht gleicher Beleuchtung ganz besonders verführerisch. Es ist ein sehr romantisches Plätzchen.

Ach ja, die liebe Oldtimerei.

 

{ 3 Kommentare… lesen Sie unten oder schreiben Sie selbst einen }

Bernd Mai 6, 2015 um 14:11

Hi Michael,
wieder köstlich geschrieben.
Weiter so !!!

Antworten

Hajo Mai 26, 2015 um 14:55

MKII von 1964 – kein MKIII, super geschrieben, hätts nicht besser schreiben können – grins…

Antworten

KlassikAuto Berlin Mai 26, 2015 um 17:58

Sorry für meinen Fehler. Ich hab es umgehend korrigiert. Danke für den Hinweis.

Antworten

Schreiben Sie einen Kommentar