KlassikAuto Berlin

Geschichten aus einer Oldtimergarage und dem historischen Motorsport



Der Chef, die Schraube und ich

von Sir Henry am 26. November 2011

Psst… nichts verraten. Ich bin es, Sir Henry. Mein Herrchen, der Chef der Oldtimer-Werkstatt, nennt mich zwar Heinrich, aber in der Tat bin ich ein reinrassiger Beagle von den Britischen Inseln, genauer aus Wales. Ihr müsst ganz leise sein, denn ich schreibe hier heimlich. Meine Besitzer mögen es ganz bestimmt nicht, wenn ich Internes ausplaudere. Ja klar, ein Frauchen habe ich auch. Früher habe ich sie Mutti genannt, aber heute nenne ich sie nur noch »Schraube«. Und das kam so:

»Schraube, halloo?«

Also, am liebsten bin ich mit dem Chef in der Werkstatt. Da riecht es ganz abenteuerlich nach altem Öl und staubigem Rost, nach heißem Metall und frischer Farbe. Überall gibt es für mich Neues zu entdecken. Und wenn ich mal auf nichts Lust habe, dann lege ich mich einfach vor die Werkstatt und höre meinem Chef zu, wie er frohgemut hämmert, schweißt, schraubt und deftig flucht.

Ich lag mal wieder so da, als ein bekanntes Motorengeräusch jäh mein dösen beendete. Ach ja, der Wilhelm wieder. Der gibt sich zwar britisch, ist aber ein echter Düsseldorfer. »Sach Willy für mich«, machte er sich mit ausgesuchten Worten gepflegter Konversation vor einiger Zeit meinem Herrchen bekannt. Heute hatten die Bremsen seines Oldies irgendein Zipperlein. Der Chef möge doch »mal eben janz kurz« nachschauen.

Sofort tauchte der Chef  in den Motorraum ab, dann mit akrobatischem Schwung unter das Auto und warf anschließend salopp ein paar Decken neben das bremskranke Gefährt. Knaack-siiizzt, knaack-siiizzt machte es, als Chef mit dem Schlagschrauber die Radmuttern löste und unten ablegte. Für mich? Egal, denn unbemerkt lieh ich mir so ein Ding aus und verzog mich heimlich aus der hektischen Werkstatt, um nicht im Weg zu stehen.

Draußen legte ich mich genüsslich ins Gras und drehte mit der Zunge mein Spielzeug langsam im Mund herum. Es gibt einfach kein schöneres Geräusch, wenn eine Radmutter an den Zähnen klackert. Urplötzlich, nach einer Weile entrückter Wonne, bogen sich die Werkstattscheiben nach aussen: »Heinrich!«, brüllte der Chef in Orkanstärke, »hast du die Radmutter geklaut?«. »S-I-R   H-E-N-R-Y heißt das«, korrigierte ich meinen Chef. Aber der befahl mit scharfem Ton: »Heinrich! Hierher!«. Okay, ich trabe ja schon an.

Aber hey, Leute, wisst ihr eigentlich wie überzeugend ich meine Arglosigkeit mit Augen und eingezogenem Schwanz beweisen kann? Jedenfalls konnte ich Willy, sach ich mal so, von meiner Unschuld überzeugen: »Na na, so ´ne leve Hund tut sowat doch nit«, meinte er und tätschelte meinen Kopf, kraulte meine Ohren, schüttelte meine Schnauze und _GLURPS_  hab´ ich die Radmutter verschluckt. Ich fing an mir etwas Sorgen zu machen.

»Was hast du denn mit Henry gemacht? Der frisst ja kaum was«, stellte mein Frauchen am Abend mit bissigen Verhörton fest. »Och, nichts weiter«, antwortete der Chef mit gespieltem Ausdruck eines Unschuldlamms, »den habe ich nur gefragt, ob er eine Radmutter gemopst hat«. Was folgte, war ein längeres Inquisitionsverfahren, das meine Wenigkeit, die Werkstatt, den Willy und neue Schuhe für Frauchen zum Gegenstand hatte. Spätestens da verließ ich den Gerichtsort und trottete auf meine Schlafdecke, weil ich als Zeuge nicht mehr gebraucht wurde. Außerdem war ich ja nicht ganz sorgenfrei und mein Schlaf in dieser Nacht verlief aufgewühlt.

Am nächsten Tag bin ich frühmorgens mit Frauchen Gassi gegangen. Am Wegesrand las ich ausgiebig die aktuelle Hundezeitung, Morgenausgabe. Aha, hier ist mein gewohntes Plätzchen. »Was ist denn das da?«, staunte Frauchen und zeigte auf mein Kacka. Flugs nestelt sie ein Papiertaschentuch hervor und pulte in meiner noch warmen, soeben abgelegten Wurst eine Radmutter heraus! Sie wird doch wohl damit nicht zum Chef gehen?! Ich habe es befürchtet: Wie eine Trophäe trug Frauchen mit spitzen Fingern die aus einem englischen Rassehund wiedergeborene Radmutter nach Hause. Kaum war die Tür geöffnet, flötete sie ein langgezogenes »Schaaatz«, und zwar mit einer Oktave höher auf den letzten beiden Vokalen, »Ich habe deine Schraube gefunden. Rat´ mal wo…?«. Diese Verräterin! Und vor allem: Schraube? Geht´s  noch? Ich fange an, mir wirklich ernsthaft Sorgen zu machen. Nicht nur, weil mich mein Chef sehr böse anguckt.

God Save Sir Henry and the Queen!

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