KlassikAuto Berlin

Geschichten aus einer Oldtimergarage und dem historischen Motorsport



Rhön »blasen« -
Wenn ein Berliner euphorisch wird

von M.Pohle am 24. August 2011

... Spassfaktor garantiert

Moderne Eintrittskarte...

Wenn im Frühjahr die Oldtimersaison beginnt, öffnen sich die Garagentore. Die geliebten Schätze rollen nach monatelangen Stillstand und tristem Warten auf die ersten Sonnenstrahlen, wieder dorthinaus, wo sie eigentlich hingehören: Auf die Straße. Ausfahrten sind der Lohn für wundgeschraubte Hände, der Jagd nach dem letzten noch fehlenden Ersatzteil und winterlichen Entbehrungen. Sei es die Teilnahme an einer Rallye, die Fahrt zu einem Oldieevent oder die gemeinsame Ausfahrt mit Gleichgesinnten einer Clubvereinigung.

Manche Ausfahrt verblasst in der Erinnerung. Eine andere wiederum begeistert so sehr,  dass die Erlebnisse erzählt werden wollen.

Ich möchte Ihnen von einer Spritztour erzählen, die mir besonders viel Spaß bereitet hat.
Lesen Sie meinen Reisebericht- geschrieben für das Clubmagazin »Commendatore« der Lancia Flavia-Fulvia IG – über meine Exkursion in die Rhön.

Es war im Frühsommer 2009. Mein Entschluss war schnell gefasst, der obligatorischen Berliner Pfingstoldtimerveranstaltung im kommenden Jahr zu entfliehen. Nichts Neues an der Hauptstadtfront. Man muss sich wohl eingestehen, dass  manche Veranstaltung nach langer Zeit ein wenig abgeschliffen wirkt und das Flair der Vergangenheit verloren hat.
Die Alternative war schnell gefunden. Das Jubiläumstreffen zum 25jährigen Bestehen der Lancia Fulvia-Flavia IG in der Rhön sollte es sein. Vier Tage an einem langen Pfingstwochenende dem Alltag entfliehen. Zwei alte Bekannte aus dem hohen Norden wiedersehen und ein paar »Neue« kennen lernen. Vor allem aber: Nach 11 Jahren intensiver Beschäftigung mit den FFF-Fahrzeugen einfach ein paar Tage nur um Vincenzos Kreationen und mit Gleichgesinnten  verbringen.
Was dann kommt, ist denen, die dabei waren, hinlänglich bekannt. Anmelden, Startgeld abdrücken, Hotelzimmer reservieren und irgendwann -wie immer viel zu spät- Reiseroute planen.
Ach so…da war noch etwas!
Für 406 Km Entfernungsüberwindung von Berlin ins deutsche Mittelgebirge brauche ich ja noch einen fahrbaren Untersatz. Mit einem stattlichen Fuhrpark ausgestattet, sollte das eigentlich keine Schwierigkeit sein.. Hallentor geöffnet und »Eene, meene Muh, und weg bist du« gespielt. Am Ende bleibt dann wohl ein Auto übrig.  Zumindest sollte es so sein. Halt…das geplante Ereignis ist ja ein Markentreffen! Also schnell mal in der Ecke der  Garage nachgeschaut, wo die Lancias geparkt sind.
Kein Thema, denke ich mir. Hast ja einen Ypsilon, der schon einige Jahre auf dem Buckel hat, und  jeden Tag ein Stückchen mehr zum Youngtimer reift. »Veto, Veto« schallt es aus der Organisationsecke: »Das ist eine Oldtimerveranstaltung«.
Mit einer Träne im Auge muss ich feststellen, dass mein Flavia Coupe der ersten Serie wohl noch ein wenig Zeit und Arbeit braucht, bis es durch die Berge huschen kann.
Und nun?
Ein bekannter  Arzneimittelhersteller würde jetzt sagen: »Da gibt´s doch was von…!«
Also kein Problem. Anreise im markenfremden Oldie, abends nach dem Essen auf die Tafel gestellt, die Glocke läuten und nach Mitfahrgelegenheit Ausschau halten. So war das geplant.
Glücklicherweise blieb mir diese Peinlichkeit dann doch erspart.

Der aufmerksame Leser wird sich nun fragen, warum jemand, der im eigenen Oldtimer in die Rhön fährt, sich später in ein anders Fahrzeug einquartieren will.
Ganz einfach: Die Auswahl für die automobile Anreise fällt auf ein betagtes, 50 Jahre altes Modell aus den Werkshallen von Solihull in England. Meinen  Rover P4.
Wissend, dass jedes der anwesenden High Tech Produkte aus dem Hause Lancia selbst in den langgezogensten Passkurven noch 3x die alte Dame umrunden würde, bis sie den Scheitelpunkt der Kurve passiert hat. Auch wenn das italienische Modell schon 40 und mehr Jahre auf dem Buckel hat.

Rover P4 100

Nun, damit dürfte die Frage der Beifahrerfunktion geklärt sein.
Denn der Autor dieses Berichtes will ja kein Spielverderber sein und die allgemeine Durchschnittsgeschwindigkeit bei den geplanten Ausfahrten um ein Merkliches senken.
Schließlich können Italiener doch so aufbrausend sein…
Trotzdem: Es muss an dieser Stelle gesagt sein, dass mich Auntie wohlbehalten an das Reiseziel und nach Hause gebracht hat.
Tja, 16 Jahre alte Liebe rostet eben nicht und schweißt doch irgendwie zusammen. Wie bei alten Ehepaaren.

In der Rhön angekommen, ist die Frage der Mitfahrgelegenheit schon nach einem »Willkommensbier« geklärt. Der Berliner trifft auf einen »kühlen Norddeutschen«, der gleichfalls seinen Weg ohne Begleitung ins Pfingstwochenende gefunden hat. Und nach einem Pendant sucht. Eigentlich einleuchtend. Macht sich irgendwie schlecht, die Hände am Steuer und gleichzeitig Roadbook lesen.
Geht gar nicht oder nur unter erheblicher, fahrerischer Erschwernis.
Kurzum: Pilot und Copilot haben sich gefunden. Dass beide auch noch eine gemeinsame, automobile Leidenschaft fernab von Lancia besitzen, soll hier nur am Rande erwähnt werden.
Dank gründlicher, deutscher Gesetze und Rauchverbot in Gaststätten muss der Copilot zur Befriedigung seiner Bedürfnisse heutzutage vor die Tür. Zieht genüsslich seine »Droge« ein und betrachtet dabei ein wunderschönes blaues Coupe. Nee, nee (um mal umgangssprachlich zu werden), nicht irgendeines, sondern ein ganz besonderes: ein…

Flavia Sport Zagato

         
Anmerkung:
Ich bin bekennender Fetischist, wenn es um die Zagato-Kreationen von Lancia geht.
Auch wenn ich gestehen muss, dass die Flavia Ausführung in der Bandbreite von Appia, Flaminia und Fulvia wohl jene ist, die am meisten pollarisiert. Man liebt oder man hasst sie. Ich gebe auch noch zu,  dass die Wahrnehmung dieses Coupes mit seiner Außenfarbe steht und fällt

Auf meine Frage, wem der wunderschöne Zagato in der IG gehört, antwortet der nebenstehende Organisator dann nur beiläufig:» Deinem Piloten!«
Wer denn Urberliner kennt, weiß, dass dieser nicht oder eher selten in Euphorie verfällt. Mit Lob und Überschwang sehr zaghaft umgeht. Ein »da kannste echt nicht meckern«, ist die landestypische Bekundung dafür, dass jemand etwas gut gemacht oder ihn über die Maßen hinaus beeindruckt hat.
Ich bin Urberliner!
Es liegt in der Natur der Sache, dass ich mir meine Freude nur unterschwellig anmerken lasse. Aber seien wir doch ehrlich, natürlich hab ich mir gedacht: Besser kann es dich nun wirklich nicht treffen.

»Morgenstund hat Gold im Mund«, denken sich am Tag 1 der Ausfahrten Massen von Lancisti in der Früh, während der »Rennleiter« die Strecken- und Tagesabläufe erklärt, um schließlich zu ihren fein säuberlich in einer Reihe aufgereihten Fahrzeugen zu sprinten. Le Mans lässt grüßen, wäre die Startprozedur nicht so gesittet und geordnet.
Zur Perfektion fehlt nur das berühmte:

                                                     Gentiluomo, accendente i motori
                                                      (Gentlemen, start your engines)

Ein erster Anflug von Erregung keimt in mir auf, während die Alu-Leichtbautür des wunderschönen, blauen Coupes so satt und doch so leicht ins Schloss fällt, dass selbst die Marke mit dem Stern neidisch werden würde. »Blu macchina« schnurrt schon nach dem ersten Dreh des Zündschlüssels ohne Choke so seidenweich, rund und flaviatypisch unaufdringlich, dass der wissende Copilot sofort erkennt: Der Servicemechaniker hat bei der Einstellung des Triebwerkes gute Arbeit geleistet.
Der norddeutsche »Automobilista« streift seine klassischen Lederhandschuhe über und greift ins Volante. Das Zagato Coupe schließt sich als letztes Fahrzeug dem Konvoi der Fulvias, Flavias, Kappas und Flaminia an. Öl warm fahren heißt die Devise.
»Spartanisch, praktisch, gut«, denke ich mir, während meine Blicke durch den Innenraum gleiten. Mehr braucht der Mensch an Instrumentarium und Schaltern  nicht. Und glücklicherweise wurden die Zagatos nie mit den Rundinstrumenten der zweiten Flavia Serie ausgestattet. Ja, ich gestehe. Ich bin mittlerweile großer Fan des Breitbandtachos.
Die Sitzposition ist gut, die Fußfreiheit ausreichend um 110 Zentimeter Bein entspannt unterzubringen. Nur ein wenig mehr Kopffreiheit könnte nicht schaden. Aber wer ist schon perfekt- es stellte sich die Frage, ob der Fehler am Beifahrer oder am wunderschönen Fahrzeug lag.
Grad für Grad sich erwärmender Öltemperatur schlängelt sich das blaue Coupe leichtfüßig durch die Kurven der Rhön. Gemässigte Geschwindigkeit und schönes Wetter verführen mich, die Seitenscheibe herunter zu kurbeln und frohgelaunt meinen Arm auf die Tür zu legen. Angenehm und leicht weht der Wind um die Haare. Jedoch nie so stark, dass man den Wunsch hegt, alsgleich die transparente Abschottung zur Aussenwelt wieder empor zu kurbeln. Selbst jenseits der 100 km/h Marke werden die Windböen nie aufdringlich. Ob das wohl damals in den Konstruktionsbüros  beabsichtig war?
Schließlich habe  ich schon in Autos gesessen, in denen bereits zwei Zentimeter Öffnungsspalt der Scheibe die Frage aufwarf, ob man nicht im nächsten Moment seines eventuell vorhandenen Toupets beraubt werden würde.
Pilot und Copilot sind sich an diesem Vormittag schon alsbald einig vom vorgegebenen Rennprozedere abzuweichen und dem blauen Sportgerät das zu gönnen, was ihm eigentlich zugesteht: »Freien Auslauf «
Einen Gang zurückgeschaltet, ein paar Drehzahlen mehr auf dem Messgerät, ein kurzer Griff ins Lenkrad und die blaue Schönheit befindet sich dort, wo sie eigentlich hingehört. Auf der Überholspur!

... oder unangemeldete Demonstration ?

Private Rennveranstaltung...

Vorbei am Tross von Vincenzos »Alteisen«, schnell zwischen zwei Fulvia Coupes eingeschert, im Windschatten neuen Speed aufgenommen, raus nach links, spurtet »Blu Macchina« mühelos am Zagato Schwestergefährt vorbei. Zeigt einem neuzeitlichen roten Lancia- Donnervogel, Delta Integrale, wer heute das Sagen auf der Straße hat, um schließlich das betagte »Savetycar« zu hinter sich zu lassen. Von nun an gilt: Freie Fahrt für freie Lancisti.
Die wiederum fünf Anhöhen, vier Täler, drei 90° Grad Kurven, einer Spitzkehre später einen kurzen Zwischenstopp beschließen, um vor malerischer Kulisse grüner Berge, gelber Rapsfelder und grauem Asphalt sich einiger optischer Genüsse und  fotographischer Erinnerungen zu bemächtigen.
Der Farbton Blu 121 kommt perfekt vor der Hintergrundkulisse zur Geltung, während sich die wenigen Wolken am Himmel im glänzenden Lackkleid spiegeln.

Tag 1 auf dem Beifahrersitz der wundervollen Bellezza hat schon Spaß gemacht. Die darauf folgende sonntägliche Begegnung mit der blauen Schönheit füllt das Fass emotionaler Empfindungen und Sichtweisen  vollends. Bringt es gar zum Überlaufen. Ach nee, geht ja nich. Ich bin doch Berliner. Da war doch was in punkto Emotionen.
Im Wechselbad zwischen Fahrdynamik und kleinen Pausen schießt das Fahrergespann irgendwann recht flott über eine Anhöhe hinaus. Freie Sicht ins Tal. Freie Sicht auf die folgenden drei, vier Kilometer. Und null Gegenverkehr! Nie war die Landstraße so einladend wie heute…

Infernalisch dröhnt der Auspuffsound ins Tal, während der Pilot einen Kurvenscheitelpunkt nach dem anderen anvisiert und mühelos passiert. Ohne auch nur ansatzweise das Bedürfnis zu zeigen, seinen Fuß vom Gaspedal zu nehmen. Dennoch ist die Auspufffanfare nie so laut, dass sie selbst bei Drehzahlen, die sich am oberen Limit einpendeln, aufdringlich oder gar störend wahrgenommen wird. Jenseits der 4500 U/min klingt die Flavia, wie ein feines Sportgerät klingen muss. Laut und doch ein gewisses Understatement in sich tragend.
Mit weit unzulässiger Geschwindigkeit (Ortsgeschwindigkeit x 2,5) schiessen wir am nächsten  Ortseingangschild vorbei, um von einer nur hundert Meter später folgenden 90° Kurve mit anschließender 8% Steigung das Fahrzeug zum Belastungstest zwei seiner wichtigsten Komponenten zu zwingen: dem der Bremsen und des Fahrwerkes.

Jagdgeschwader

Die Dunlopbremse verzögert den Lauf der blauen Schönheit perfekt. Direkt ansprechend, gut zupackend, ohne das Gefühl von »Schwammigkeit« zu vermitteln, minimiert sich die Geschwindigkeit sofort erheblich. Trotzdem gewinnt man nie den Eindruck, die Bremswirkung wäre zu hart dosiert.
Das durch Koni-Stoßdämpfer gestraffte Fahrwerk, revidiert die flaviatypische Neigung zum Untersteuern an der Vorderachse  mehr als ausreichend. Sieht man von einem letzen Schieben über die Vorderräder ab, da dem norddeutschen Automobilista der einzige Fahrfehler an diesem Wochenende unterläuft. Macht aber nichts. Nobody is perfect.
Schnell ist der letzte Anflug von Schieben am Kurvenscheitelpunkt durch einen Gangwechsel korrigiert und der korrekte Vortrieb durch die passende Drehzahl wieder hergestellt.
Der durch Doppelvergaser befeuerte, serienmäßige Motor reicht vollkommen aus, um die anschließende Steigung mühelos zu bewältigen. Auch wenn die Leistungscharakteristik des Boxermotors in ihrer Bandbreite nach oben hin noch viel Spielraum lässt. 165 PS hat es schon in getunten 1800 Flavia-Motoren gegeben.
Rauf den Berg und weiter geht die Hatz…

Wer »hatzt«, darf auch mal Pause machen. Während sich eine norddeutsche Riege und ein Berliner in strahlendem Sonnenschein von Espresso und Schwarzwälderkirchtorte verführen lassen, ruht sich Blu Macchina in den Schatten der Häuserschluchten eines kleinen Rhöndorfes aus. Knisternd kühlen sich die Hosenrohre von den Strapazen ab und flüstern ihr Materialentspannungslied in die unmittelbare Umgebung hinaus.
Trotz kulinarischer Genüsse kann ich nicht davon lassen, der Flavia von Zeit zu Zeit einen leicht verklärten Blick zuzuwerfen. Und meine Augen schweifen zu lassen. Immer wieder zu der Erkenntnis kommend, das die leicht geduckt erscheinende Frontpartie, als auch die demontierten Stoßstangen, den polarisierenden, sportiven Charakter dieses Coupes nur wohlwollend unterstreichen. Dem Fahrzeug eine völlig veränderte Note in der visuellen Wahrnehmung im Gegensatz zum serienmässigen Pendant verabreichen.
So, und nicht anders, muss ein Flavia Zagato sein.

Der Rest ist schnell erzählt. Am Ende eines langen Wochenendes untermalt ein leichtes, geschwindigkeitsabhängiges Schleifgeräusch aus dem rechten Radhaus die letzen hundert Meter Auffahrt zum Hotelparkplatz. Nicht bedrohlich klingend, scheint einem das blaue Sportgerät zu flüstern: »Macht nichts Jungs, hat trotzdem Spaß gemacht!«
Verführt den mechanisch nicht unwissenden Schreiberling sich in Sonntagskleidung mal schnell auf den Boden zu legen und einen Rundumblick zu werfen. Natürlich bringt dieser erst einmal keine offensichtlichen Erkenntnisse. Das ist ja immer so. Warum sollte es an diesem Tag auch anders sein.

Pilotengespann am »Point Alpha« in der Rhön

Was bleibt als Fazit eines Wochenendes, an dem ich gewohnter Sinneseindrücke entrissen wurde. Zeit zum Abstand gewinnen konnte, da zwischen Erlebten und geschriebenen Worten Wochen lagen. Und es genügend Muße zum Reflektieren gab. 
                                                 Mit dem Zagato durch die Rhön blasen:
                                                       »Da kannste echt nicht meckern«

Noch einmal vielen Dank an dieser Stelle an Martin K., der mir dieses unvergessliche Wochenende als Co-Pilot ermöglichte. Es war sehr, sehr angenehm.

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