KlassikAuto Berlin

Geschichten aus einer Oldtimergarage und dem historischen Motorsport



Solo einer ergrauten Schönheit

von M.Pohle am 12. Juli 2014

Auf Wiedersehen schöner Herbst.  Es ist frostig an einem sonnigen Samstagvormittag im November. Ich ziehe den Kragen meiner Lederjacke tief ins Gesicht um mich vor der unfreundlichen Kälte zu schützen. Höchste Zeit, dass meine Verabredung eintrifft, ein wenig Bewegung täte gut. Pünktlich bahnt sich eine Zugmaschine mit Anhänger rumpelnd seinen Weg über die mit Kopfstein gepflasterte Strasse und stoppt vor der Einfahrt meiner Garage. Fest verzurrt ruht auf dem Trailer eine italienische Fracht, deren Zustand ich in den nächsten Tagen genauer inspizieren soll: eine 1965er Fulvia Berlina 2C.

Eine echte Herausforderung...

Schon der erste Blick verrät, ihre Blütezeit hat die graue Limousine lange hinter sich. Blass und verwittert bietet sich das Farbkleid der Signora zur Schau, haltlos hängt die Schalttafel am Kabelbaum im Innenraum herum. Vergessen und verrostet parkt die demontierte Dunlop-Bremsanlage in einer Kiste im Kofferraum. Die komplexe Lancia-Technik hat ihren letzten Besitzer – einen Kraftfahrzeugmechaniker aus Nürnberg – sprichwörtlich ausgebremst. Anders lassen sich etliche Zeugnisse unfachmännischer Reparaturversuche nicht erklären. Kein Wunder also, dass der technische Artefakt Turiner Automobilbaukunst schließlich in der Konkursmasse einer fränkischen Autoreparaturwerkstatt landete. Dort entdeckt ein Leipziger Oldtimerfan die heruntergewirtschaftete Fulvia. In der Folge reiht sich die Bellezza in seine kleine Sammlung ein.

Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben. Nach einer intensiven Bestandsaufnahme und anschließender Kostenanalyse entschließt der sächsische Oldtimerenthusiast: Die Fulvia wird wieder auf Vordermann gebracht!
Doch das Projekt steht unter einem besonderen Aspekt…

Die Informationsblätter der FIVA- Charta von Turin ruhen in der Schreibtischschublade, die graue Grazie will dennoch behutsam wiederbelebt werden. Harmonisch sollen sich die durchgeführten Reparaturen in den historischen Zustand der Limousine aus Piemont einfügen. Natürliche Alterserscheinungen, Abnutzungsspuren und  kleine charaktervolle Schwächen sollen auch in Zukunft vom bewegten Leben der 49 Jahre alten Berlina erzählen.
So verbleiben Sandstrahlpistole, Ausbeulhammer und Schweißgerät erst einmal im Werkzeuglager. Ein stattliches Sortiment chemischer Reinigungsmittel, feine Stahlwolle und Messingdrahtbürste entwickeln sich zunächst zu meinen bevorzugten Arbeitsmitteln- und Handwerkszeug.

Zuerst jedoch galt es das Herzstück der Fulvia, den Motor, wieder zum Leben zu erwecken.
Keine leichte Aufgabe, denn eine umgebogene Blechflanke des Batteriekasten bekräftigt einen anfänglich gehegten Verdacht: In der Vergangenheit schien die Berlina von  Startschwierigkeiten geplagt! Ob die Ausrüstung mit einer stärkeren Batterie erfolgreich war?
Es wurde Zeit, dies herauszufinden.

Einen gerichteten Batteriekasten und eine neue Stromquelle später- nun mit vom Werk vorgeschriebener Nennleistung – quälen sich die Elektronen durch die grüne Kupferpatina im Hauptstromkabel Richtung Anlasser. Mühsam dreht der Startermotor das stillgelegte Triebwerk durch. Dabei spucken die Solex Benzinfabriken ihre zündunwillige Magerkost aus den offenen Lufttrichtern in den Motorraum. Die Fulvia springt lange Zeit nicht an,  die Kolben bleiben kalt. Erst eine Reinigung der Doppelvergaser im Ultraschallbad, neue Zündkerzen und ein korrigierter Zündzeitpunkt sorgen schließlich für Erfolg. Endlich wird in den Zylindern wieder angesaugt, verdichtet, gezündet und ausgestoßen. Auch wenn die Steuerkette des engwinkligen VR-Motors dabei munter rasselt und die Ventile lautstark klappern.

»Die Fortschritte können sich im wahrsten Sinne des Wortes sehen lassen!« Längst ist die wärmende Lederjacke dem luftigen Sommerhemd gewichen, als der Besitzer der Berlina diese lobende Aussage ausspricht. Zugegeben, seine Bemerkung ist eindeutig. Aber er hat auch im übertragendem Sinne recht.
In der Manier eines Archäologen befreite ich mühsam die Vorder- und Hinterachse vom Schimmel jahrelanger emsiger Betriebsamkeit sowie einer dicken unansehnlichen Schicht Dinol Hartwachs. Nun offenbaren sich die technischen Feinheiten der fortschrittlichen Limousine aus den 1960iger Jahren wieder dem bloßen Auge.
Im Maschinenraum herrscht angenehme Ruhe. Öldruckmanometer und Wassertemperaturanzeige attestieren dem Triebwerk einen gesunden Zustand, während die komplett überholte Dunlop-Bremsanlage ihre Arbeit wieder dort verrichtet, wo sie hingehört. Dennoch gibt es noch viel zu tun, bis die ergraute Schönheit wieder auf die Strasse zurückkehrt. Von Zeit zu Zeit werde ich über den Fortgang der Arbeiten berichten.

{ 3 Kommentare… lesen Sie unten oder schreiben Sie selbst einen }

Andreas Delfs Juli 16, 2014 um 10:56

Toller Bericht. Da passt beides zusammen: Die Liebe zum Auto und die Liebe zum Wort. Freue mich auf mehr.

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Lancia Juli 31, 2014 um 16:23

Dieser Lancia ist ein richtig schönes Auto und jede Minute Arbeit wert, um es wieder im Glanz erstrahlen zu lassen. Viel Erfolg noch bei der Arbeit am Lancia und ich freue mich schon auf die Berichte zum Fortschritt an dem Projekt.

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Bernd August 15, 2014 um 15:35

Wieder mal ein gefühlvoller Text und die passenden (schönen) Bilder dazu.

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